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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens
Autoren: Ulrike Rylance
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geredet? Das war wohl leicht übertrieben. Aber ich musste zugeben, dass ich mich erstmals seit dem schrecklichen Sonntagmorgen sorglos fühlte.
    »Bisschen bitter. Aber lecker«, sagte ich.
    »Das ist das Chinin im Tonic. Wusstest du, dass die Engländer zu Kolonialzeiten in Indien immer Gin Tonic getrunken haben, damit sie nicht Malaria bekommen?« Sie strich sich die Haare aus der Stirn. An ihrem Handgelenk war ein hässlicher roter Fleck.
    »Nein, wusste ich nicht. Was hast du denn da gemacht?« Ich zeigte auf ihren Arm.
    »Am Ofen verbrannt. Aber was ist denn nun mit Stefan und dir?«
    Ich nahm noch einen großen Schluck. Von dem Gin Tonic fühlte ich mich so gelöst und sorglos.
    »Ich weiß jetzt, von wem die Haikus sind«, begann ich.
    »Ich auch«, sagte Claire.
    »Was?«
    »Ich auch. Aber erzähl du erst mal.«
    Mir fiel auf, wie gut Claire heute aussah. Die Haare weich und lockig, ein erwartungsvoller Glanz in denAugen. Wenn sie nicht immer so verkniffen gucken würde, wäre sie richtig attraktiv. Wie in der Partynacht zum Beispiel. Meine Gedanken drifteten irgendwie ab. Was hatte sie gerade gesagt? Ich räusperte mich. »Stell dir vor, Stefan hat die Gedichte geschrieben. Das traut man ihm gar nicht zu, nicht wahr?«
    »Nein, das traut man ihm nicht zu.« Sie nippte an ihrem Glas.
    »Also jedenfalls hat er mir die Gedichte ins Zimmer gelegt, weil er sich in mich verknallt hat. Und auch die Blume. Und die Schokolade. Was ich dir neulich erzählt habe.« Ich hielt kurz inne und überlegte. »Die hat er wohl von dir geklaut?«
    Claire verzog leicht den Mund und nickte.
    Wie froh ich war, endlich alles loszuwerden. Ich wollte einfach nur die Beine ausstrecken und quatschen. Mich ausruhen. Es ging mir plötzlich total gut. Ich fühlte mich sorglos und frei. Der ganze Schrecken der letzten Tage schien von mir abzufallen wie schwere Winterkleidung im Frühling. Eine Sekunde lang musste ich überlegen, wo ich in meinem Bericht stehen geblieben war.
    »Jedenfalls hat er mir vorhin gesagt, dass er mich liebt. Stell dir das mal vor. Das ist doch total absurd. Und die arme Lauren ...« Plötzlich kam mir eine furchtbare Erkenntnis. »Oh, shit, ich glaube«, stotterte ich, »das Mädchen, wegen der er mit Lauren Schluss gemacht hat, bin ich!« War ich damit fürihren Tod verantwortlich? Ein entsetzlicher Gedanke. Ich kippte meinen restlichen Gin Tonic hinunter. Das Zeug war gut. Es löste so ein wohliges Rieseln in mir aus.
    »Ja, ich weiß«, sagte Claire wieder. Ihr Gesicht sah ein bisschen verschwommen aus. Ich blinzelte.
    »Du weißt das alles?«, fragte ich verwirrt. »Woher weißt du, dass Stefan die Gedichte geschrieben hat?«
    »Das habe ich nicht gesagt«, meinte Claire. Sie beugte sich vor und goss mir noch mal nach. Dabei sah sie mich prüfend an, fast, als ob sie etwas in meinen Augen entdecken wollte, eine Wimper oder so. »Ich habe gesagt, dass ich weiß, wer die Gedichte geschrieben hat. Trink ruhig, es ist genug da. Hey, die Sonne scheint wieder warm. Fast wie in Indien.«
    Ich starrte auf ihre Hand, die die Flasche hielt. Ihren Arm. Da war etwas ... Was war es nur? Und was meinte sie mit: Ich weiß, wer die Gedichte geschrieben hat ?
    »Das ist doch dasselbe. Stefan hat doch die Gedichte geschrieben.« Ich verstand gar nichts mehr.
    »Nein. Das hat er nicht!« Sie sah einen Moment lang fast zornig aus. »Stefan hat keine Ahnung von Lyrik. Der denkt, Haiku ist eine japanische Kampfsportart. Die Gedichte sind von mir.«
    »Was?« In meinem Kopf begann es zu klopfen. » Du hast mir Liebesgedichte geschrieben?«
    »Natürlich nicht. Ich habe Stefan Liebesgedichte geschrieben.«
    »Du?«
    Sie lächelte. Legte ihre schlanken Klavierhände übereinander. Ihr Handgelenk war so rot ... Und in diesem Moment wurde mir klar, was für Flecken das an ihrem Arm waren. Ich hatte genau dieselben an meinem Körper.
    Es waren Ameisenbisse.

25. Kapitel
    »Dein Arm«, sagte ich. Es war mehr ein Krächzen. »Das waren Ameisen.«
    »Ja. Aggressive kleine Biester, nicht wahr? Aber das weißt du ja selbst. Können eine ganze Eidechse verputzen.«
    »Wie meinst du das?« Ich konnte es nicht glauben. Wollte es nicht glauben.
    Claire lächelte wieder. Sie sah vollkommen entspannt aus, beinahe amüsiert. Irgendwo tief in mir stieg eine leichte Übelkeit auf.
    »Nun, um sie dir ins Bett zu legen, musste ich schließlich in aller Herrgottsfrühe raus in den Garten und in den verdammten Haufen stechen. Kein Spaß, glaub's mir. Auch
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