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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens
Autoren: Ulrike Rylance
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Lippen streiften mein Ohr.
    »Nina, ich liebe dich. Bitte gib mir eine Chance.«
    »Stefan.« Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben, denn irgendwie tat er mir auch leid. »Ich ziehe hier aus. Heute noch. Jemand hat meine Zeichnungen zerstört und die Ameisen sind auch nicht von selbst in mein Bett gekrochen.«
    »Ich finde heraus, wer das war, ich schwöre es dir. Aber du darfst nicht ausziehen. Bitte bleib hier.«
    Plötzlich hörte ich hinter mir ein leises Scharren. Ich wirbelte herum und erblickte Claire, die bleich in der Tür stand. Stefan und ich fuhren auseinander. Was musste sie von uns denken, nicht mal drei Tage nach Laurens Tod! Ich wäre am liebsten im Boden versunken.
    »Hallo«, sagte Stefan. Scheinbar ungerührt.
    Claires Gesichtsausdruck verzerrte sich eine Sekunde lang grimassenhaft, fast wie in einem dieser Zombiefilme, wo ein Gesicht innerhalb von Sekunden zu Staub zerfällt. So voller Abscheu sah sie michan, dass ich sie kaum erkannte. Dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Sie machte den Eindruck, als ob sie etwas sagen wollte, es aber in letzter Minute unterdrückte.
    »Claire, wir ...«, setzte ich an, aber sie ließ mich nicht ausreden.
    »Die Handwerker wollen wissen, wo der Schlüssel zum alten Kohlenkeller ist.« Sie vermied es, uns anzusehen.
    »Keine Ahnung. Julius weiß das sicher.« Stefan blickte auf seine Uhr. »Ich muss los. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch rechtzeitig zur Spätschicht. Ich hoffe, du bist nachher noch da?« Das galt mir.
    Claire drehte sich ruckartig um und ging raus. »Vielleicht«, sagte ich leise. Nur, damit er mich endlich in Ruhe ließ. Auf gar keinen Fall würde ich auch nur eine Minute länger in diesem Irrenhaus bleiben.
    Als ich im Flur stand, hörte ich laute Stimmen im Vorgarten. Die Handwerker waren im Begriff zu gehen. Offenbar war der Kellerschlüssel nicht auffindbar, ich konnte hören, wie Julius halbherzig versprach, sich darum zu kümmern. Claire war in ihrem Zimmer verschwunden. Ich schämte mich so. Dabei hatte ich doch gar nichts gemacht.
    Aber natürlich würde Claire das nicht so sehen. Für sie war es wohl Leichenfledderei oder so was in der Art. Bevor ich hier verschwand, musste ich dasnoch mit ihr klären. Und außerdem würden wir uns irgendwann demnächst auf Laurens Beerdigung treffen und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass die Leute dort vielleicht dachten, ich hätte Lauren ihren Freund ausgespannt.
    »Nina!«
    Ich blieb stehen. Benjamin kam auf mich zu. In seinen Haaren glänzte Gel und er trug ein schwarzes Hemd mit einem hässlichen roten Muster, das aussah wie das Logo einer Gang.
    »Kann ich dich mal was fragen?«
    Ich seufzte unmerklich. Für weitere Beichten fehlten mir eigentlich die Nerven. »Klar«, sagte ich matt.
    »Geht das so?«
    »Was denn?«
    »Das Hemd. Ist von Paul Smith.«
    Ich musterte ihn kurz. »Und?«
    »Ich treffe mich nachher mit jemandem. Im Laden fand ich es noch total geil, es war um die Hälfte reduziert, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Was meinst du?«
    Was ich meinte? Ich konnte es nicht fassen. Während ich hier tausend Tode starb, Ameisen im Bett hatte, peinliche Geständnisse anhören musste, kein Zimmer fand und dauernd an die arme Lauren denken musste, hatte Benjamin Probleme mit seinem Outfit. Er sah mich erwartungsvoll an. Wie ein junger Welpe.
    Ach, was sollte ich mich auch noch mit ihm anlegen.In absehbarer Zeit war ich hier weg. »Du siehst gut aus«, versicherte ich ihm. »Dein Date wird vor Freude an die Decke springen.«
    Er zupfte geschmeichelt an seinem Kragen. »Danke.«
    Die Haustür fiel schwer ins Schloss. Mister Blaumann war noch einmal aufgetaucht. »Junge Frau«, sagte er zu mir. »Bevor ich es vergesse: Da hinten im Garten, der Ameisenhaufen. Sieht aus, als ob da irgendjemand aus Versehen reingetreten ist, die Viecher rennen überall herum. Wollte ich Ihnen nur sagen, damit Sie aufpassen.« Er hob kurz die Hand zur Verabschiedung. Auf einmal sah er gar nicht mehr so grimmig aus, sondern wirkte eher besorgt.
    »Na bitte«, sagte Benjamin. Er folgte dem Handwerker ins Freie. Sein Hemd glitzerte extravagant im Tageslicht.
    Na bitte? Jemand war also aus Versehen hineingetreten? Um eine ordentliche Ladung Ameisen herauszuholen?
    Oder litt ich wirklich unter Verfolgungswahn, wie Julius behauptete?

Wie naiv ich war! Als ob es damit getan ist, dass Nina auszieht! Nichts ist damit erreicht. Dabei habe ich doch alles versucht, mich so clever angestellt. Und
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