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Vier Tage im August

Vier Tage im August

Titel: Vier Tage im August
Autoren: Silvio Blatter
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sich ein schmutziger Propeller und wirbelte Gerüche durcheinander.
    Sesam, Koriander, Ingwer.
    Paul schnupperte, kräuselte die Nase. Es half nicht. Er konnte den Duft nicht enträtseln, er atmete Aromen ein und freute sich auf das Essen, es würde ihm auch schmecken, wenn er nicht alle Gewürze erkannte.
    Kardamom, Safran.
    Der Inder breitete ein schweres, weißes Tuch über den Tisch aus und strich es glatt wie vorher die Geldscheine, er schien das gern zu machen, und trug bald kleine Schalen auf. Darin befanden sich mundgerecht geschnittene Stücke vom Lamm und vom Huhn, angerichtet an sämigen Saucen. Iris klatschte in die Hände. Der Beifall löste die Verspannung in ihrem Nacken.
    Was haben wir es gut, erklärte sie.
    Ihre Stimme tönte jetzt so, wie Paul sie liebte. Er wusste, dass das auch an ihm selbst lag, er mäkelte oft gerade dann an seiner Frau herum, wenn er mit sich selbst im Unreinen war.
    Wenn du meinst, antwortete er vorsichtig.
    Paul schwieg. Kleine Muskelbewegungen in seinem Gesicht verrieten mehr von dem, was er dachte, als ihm lieb sein dürfte, wenn er es wüsste. Iris durchschaute ihn, nachsichtig.
    Der Inder brachte ihnen rotes und grünes Gemüse. Er tischte Reis, gebackene Bananen, Nüsse und Ananas auf. Dem angebotenen Darjeeling Tee zogen sie das indische King Fisher Bier vor.
    Zum Wohl, auf uns. Auf unsere Reise.
    Das Bier schmeckte Paul, er trank, ohne die Flaschen zu zählen. Iris hielt mit. An ihrem Hals zeichneten sich bald rote Flecken ab. Paul sah kaum mehr aus den Augen, so eng kniff er sie zusammen. Die Speisen und das Bier hatten ihre Gereiztheit in eine gesunde Bettschwere verwandelt; der süße Likör, destilliert aus Mangos und Litschis, den der Inder ihnen zuletzt anbot, versöhnte sie vollends mit dem missglückten Tag.

SPÄT VERLIESSEN SIE DEN SPEISESAAL des Hotels. Sie hörten die Glockenschläge verschiedener Kirchen, nicht ganz synchron: ungefähr elf Uhr. Jede Treppe schien nun eine andere Tritthöhe zu haben, so fühlte es sich für die Füße jedenfalls an. Die Türen hatten goldene und silberne Nummern, ein System ließ sich nicht erkennen. In den Fluren standen vielarmige Skulpturen von indischen Gottheiten. Im ersten Stock hatte ein Künstler Figuren aus Disneys Dschungelbuch auf die Wände gesprüht. Den nächsten Stock schmückten Porträts von Seefahrern und Seeräubern, die wohl aus einer Zeit stammten, in der das Hotel noch nicht von Indern geführt wurde. Und zwischen den Finsterlingen, als wäre sie deren Träumen entsprungen, war das farbige Bild einer Yogini platziert, einer schönen Tempeldienerin.
    Iris ließ die Lampe im Zimmer brennen. Der Raum war sparsam ausgestattet, kein Bild, keine Dekoration. Weder Telefon noch Fernseher. Dafür von Motten zerfressene Vorhänge. Und Kampfergeruch im Schrank. Das Bett war ganz in Rot gehalten, als Füße dienten vier aus Jade geschnitzte Elefanten, sie trugen den Lattenrost auf ihren Rücken.
    Das Bett, dachte Paul, sei viel zu schmal für ein am Ende des Sommerurlaubs doch etwas abgekämpftes Paar. Die Matratze hatte eine Delle. Iris rutschte auf ihn zu. In der Mitte trafen sich ihre warmen Körper. Er mochte das, liebte es, wenn sie im Schlaf einen Arm um ihn schlang. Er war die Berührung und unausweichliche Nähe eines Paares gewohnt, es störte ihn bloß heute, dass sich die kleinste Regung des einen auf den anderen übertrug und keine Gelegenheit bestand, frei dazuliegen, bequem ausgestreckt, ohne Hautkontakt, er auf dem Rücken, seine Frau auf dem Bauch.
    Beim Einschlafen, kurz bevor sie in das Höhlensystem schlüpfte, erschien Iris die Yogini vor Augen. Ihr erotisches Porträt im Flur, neben der Zimmertür. Die Tempeldienerin tanzte, sie ließ den Bauch kreisen und regte Iris an, ihrem Mann ein stimulierendes Zeichen zu geben. Iris stellte sich vor, nun mit Paul zu schlafen. Doch ihr Begehren war zu schwach. Bevor es richtig aufflammte, wurde es vom lustfeindlichen Gedanken erstickt, dass sie das bestimmt schon mehr als zweitausend Mal getan hatte. Und es jetzt nicht unbedingt haben musste.
    Paul war gleich eingeschlafen. Lag da, bewegungslos, ein Baumstamm, der nachts geflößt wurde, getragen vom dunkel dahinziehenden Strom. Paul war unerreichbar und blieb es bis zum Morgengrauen. Sie legte eine Hand auf seinen warmen Körper.
    Paul träumte nie. Er mochte auch keine Träume erzählt bekommen. Von niemandem. Wenn Iris von ihren Traumverstrickungen berichtete, winkte er ab; obwohl sie insistierte, er
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