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Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)

Titel: Vier Beutel Asche: Roman (German Edition)
Autoren: Boris Koch
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einfach das Auto waschen und mit ihm weiterfahren, als wäre nichts geschehen? Hatte ihm das sein Psychologe mit der randlosen Brille geraten, der auch in der Verhandlung gewesen war?
    »Reinigen Sie einfach das Auto stellvertretend für Ihre Erinnerungen von all dem Blut und dem Dreck. Machen Sie es gründlich, beseitigen Sie alle Spuren und kehren Sie zur Normalität zurück. So eine symbolische Handlung ist wichtig. Alles andere besprechen wir dann einmal die Woche in meiner Praxis. Bis zur Verhandlung zweimal die Woche, das macht einen besseren Eindruck.«
    Wenn es ihm so furchtbar leidtäte, wie er vor Gericht gejammert hatte, warum fuhr er dann überhaupt wieder Auto? Warum hatte er es nicht voller Abscheu verbrannt?
    Weil man sich nicht aus der Bahn werfen lassen darf, wie schlimm ein Ereignis auch sein mag. Alles muss auf die Rückkehr zur Normalität ausgerichtet sein, Normalität ist der Anker des Lebens, und Autofahren ist nun mal normal , erklärte mir eine Stimme in meinem Kopf, die erst wie der Psychologe und dann wie mein Vater klang. Dabei wollte ich weder den einen noch den anderen in meinem Kopf haben, es war nicht ihr Kopf, sondern meiner.
    Aber der Tod muss einen aus der Bahn werfen! , protestierte ich.
    Es gibt keinen Grund, danach nicht wieder in die Bahn zurückzukehren. Das Leben geht weiter.
    Nicht für Christoph!
    Für dich, für dich geht es weiter. Du bist am Leben.
    Ja, das war ich, und ich würde der Stimme in meinem Kopf gleich zeigen, wie sehr ich am Leben war.
    Ich sprang vom Verteilerkasten und wühlte den Molly aus dem Rucksack. Dabei beugte ich mich vor, um ihn mit meinem Körper vor dem Regen zu schützen, die Lunte durfte nicht nass werden. Vorsichtig wickelte ich ihn aus den drei Beuteln und nahm ihn in die Rechte. Auf der Flasche klebte ein Etikett mit der verspielten Handschrift meiner Mutter: Himbeersirup .
    Die Straße war noch immer verlassen, fast alle Fenster dunkel. Ich warf mir den Rucksack über den Rücken, um sofort abhauen zu können, und versicherte mich, dass ich das Rad nicht abgesperrt hatte. Dann zog ich mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und stapfte halb über die Straße, den Molly dicht an den Körper gepresst. Gerbers Hausnummer stand in gusseisernen römischen Zahlen an der Hauswand, als mache ihn das zu etwas Besonderem.
    XVII.
    Als wäre eine Primzahl allein nicht schon genug.
    Ich stand vier, fünf Meter vor dem verdammten Auto und hob den Arm. Ich holte aus und schwang ihn durch, ohne die Flasche loszulassen. Sie brannte noch nicht, ich musste erst ein Gefühl für den Wurf bekommen, um nicht versehentlich die Garage dahinter abzufackeln.
    Mörder , dachte ich und holte wieder aus.
    Freispruch , sagte die Stimme in meinem Kopf, und ich ließ die Hand wieder sinken.
    Im Zweifel für den Angeklagten, aber ich wusste nicht, warum ich zweifelte. Vielleicht weil ich seit Christophs Tod an allem zweifelte. Vielleicht war ich auch einfach nur zu gut erzogen und konnte nicht anders, als fremden Besitz zu respektieren, besonders wenn er so teuer und wertvoll war wie ein Auto.
    »Fuck!«
    Ich hielt den Molly wieder schützend an mich und zweifelte. War es richtig? Hatte ich ihn richtig gebaut? War die Lunte zu kurz? Sicher wusste ich nur, dass ich zu allein war, um das durchzuziehen, darüber konnten mich nicht einmal die Zigaretten hinwegtäuschen.
    Der Gedanke, jemanden um Unterstützung zu bitten, war mir nicht gekommen. Es war meine Rache gewesen, meine allein, und jetzt brachte ich es nicht fertig.
    Ich hätte heulen können vor Wut, aber ich tat es nicht. Ich tat überhaupt nichts. So wie ich seit seinem Tod nichts getan hatte. Ich wusste nicht, was, aber ich hätte alles getan. Warum gab es nichts, das man tun konnte? Ich tat nichts, ich ließ das Leben einfach über mich ergehen, und auch wenn ich soff oder lief, tat ich es wie betäubt; ich konnte den Schmerz nicht abschütteln. Und jetzt stand ich hier im Regen und tat wieder nichts!
    Weichei , dachte ich verächtlich, aber es half nichts. Ich wusste, ich würde nicht mehr werfen, und trotzdem fingerte ich das Feuerzeug aus der Hosentasche. Verbissen versuchte ich, es mit links zu entzünden, aber die Hand war klobig und ungeschickt, der Daumen zitterte und rutschte am Rädchen ab.
    »Scheiße!«, stieß ich hervor und meinte meinen Daumen und das Feuerzeug, meine Feigheit und das graue Wohngebiet, den Molly und die Nacht, die ganze Welt und das Leben und vor allem den Tod.
    Der Regen wurde
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