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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
Autoren: Marion Schreiner
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nichts vor: Es ist eine Neigung zur Freude am Quälen und sogar Töten. Dieser Mensch ist eine tickende Zeitbombe. Das hat Dane Gelton bewiesen. Wegen ihm sind fünf Menschen ums Leben gekommen.
Dennoch musste ich beachten, dass Christopher Gelton keineswegs das Gen geerbt haben muss. Ich sollte es aber auch nicht aus den Augen verlieren. Also musste ich auf den Jungen sehr achten, um nichts falsch zu interpretieren.
Ich fuhr mein Barometer wieder herunter und bereitete mich zunächst, wie bei allen Neuzugängen, auf einen aggressiven, hassenden und abweisenden Jungen vor.
Umso erstaunter war ich, als sich Christopher Gelton freundlich, friedlich, folgsam und aufmerksam zeigte. Keine Spur von einer misshandelten Seele, die um Aufmerksamkeit schrie. Oder war das schon ein Merkmal des sprachgewandten Blenders mit Charme?
Ich musste mich zusammenreißen, um nichts falsch zu machen.
Christopher und ich lernten uns im Flur des Hauptgebäudes kennen, als wären wir in einem Supermarkt mit unseren Einkaufswagen versehentlich zusammengestoßen und grüßten uns entschuldigend. Ich empfand sofort Sympathie für ihn, und er für mich. Es war eine ganz merkwürdige Begegnung. So als kannte ich ihn schon lange Zeit, was natürlich nicht stimmte. Und bei ihm erschien es mir, als sei jetzt jemand für ihn da, der ihn in den Arm nehmen, mit ihm sprechen konnte und sich für ihn interessierte.
Doch nach nur wenigen Tagen riss er das ganze Heim aus den Fugen – auf  eine Art und Weise, die ich nicht einmal als bösartig oder berechnend beschreiben möchte. Es war einfach nur auffallend, wie er Regeln und Abmachungen umsetzte. Immer wieder fand ich verschiedene Merkmale, die auf eine psychopathische Grundstruktur hinweisen konnten. Aber ich bin kein Psychiater, obwohl ich mich gerne in dieser Zeit als solcher verstand. Ich bin Psychologe und hatte in diesem Heim eine ganz andere Aufgabe, als Christopher zu diagnostizieren. Ich sollte ihn doch nur in unsere Gemeinschaft integrieren. Also berief ich mich immer wieder auf meine Aufgaben.
Ich musste mir etwas ganz Besonderes einfallen lassen, um ihn halbwegs an die Regeln der Schule und des Heims anzupassen und wandte ausgefallene Methoden an, die nicht immer auf Mr. Mintz‘ Verständnis stießen.
Chris zeigte keinerlei Anzeichen von Zurückgebliebenheit oder Dummheit. Und doch stellte ich schnell fest, dass er die Welt mit visuellen und akustischen Missverständnissen, um nicht zu sagen, Halluzinationen erlebte. In ihm zeigte sich keine klarsichtige Denkweise oder Erkenntnis, wie wir sie besitzen, dafür eine beeindruckende, aber irreführende Logik.
Um es kurz zu machen und nicht zu viel vorwegzunehmen: Ich scheiterte an meiner ersten Herausforderung und wurde nach nur einem halben Jahr von Mr. Mintz wieder gekündigt. Irgendwie war das klar. Von Anfang an hatte ich vermutet, dass Christopher in diesem Heim fehl am Platz sein würde. Er gehörte in eine Kinder und Jungendpsychiatrie. Ich konnte ihn nicht in die Gemeinschaft des Heimbetriebes und dessen Regeln integrieren und war für Mr. Mintz inkompetent für diese Stelle.
Ich fand eine neue Stelle in einer Jugendpsychiatrie in Denver und verabschiedete mich nicht einmal. Dazu war ich zu feige. Wie sollte ich mich von Christopher verabschieden, der so auf mich gebaut hatte?
Als ich (sein bester Freund im Heim) für Chris nicht mehr erreichbar war, verlor der Junge vollkommen den Boden unter den Füßen und musste nach starken Verhaltensstörungen und einem Suizidversuch aus Selbstschutz und zum Schutze anderer in eine Jugendpsychiatrie überwiesen werden. Er wünschte sich so sehr, zu mir nach Denver zu dürfen, so dass ich bis heute nicht mit Klarheit sagen kann, ob seine Inszenierungen reine Berechnung waren, um wieder mit mir zusammen sein zu dürfen, oder ob er nach meiner Entlassung tatsächlich durchdrehte. Ich vermute mal Ersteres.
Als Chris nun zu mir nach Denver kam,  fragte ich, ob er mir seine Lebensgeschichte und seine Gedanken in ein Buch schreiben würde. Ich hatte aus seinen Unterlagen einen ungefähren Einblick in sein bisheriges Leben bekommen und einige Monate mit ihm im Heim verbracht. Mir schwebte eine Kindheits-Psychose vor, die so vielseitig sein kann, wie es Sterne am Himmel gibt. An eine Kindheits-Schizophrenie traute ich mich noch nicht heran. Um dieser Erkrankung einen gewissen Rahmen zu verschaffen, kam mir die Idee, seine Erlebnisse aufschreiben zu lassen. Es wäre vielleicht aufschlussreich, Abläufe
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