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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
Autoren: Marion Schreiner
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oder? Aber ich schrie noch viele Jahre danach, immer dann, wenn Geräusche wie eine Sirene klangen.
Mein Vater konnte mich nicht mehr im Arm halten. Aber er hat mich berührt, meine Nabelschnur durchgeschnitten und mich in kaltem Wasser gewaschen. Er sagte dabei (das habe ich gelesen): „Wir haben leider kein warmes Wasser. Gewöhn dich dran. Es wird noch öfters in deinem Leben etwas kälter werden.“
Obwohl ich diese Worte nie wirklich gehört habe, träume ich oft von ihnen. Er spricht sie mit klarer, dunkler Stimme.
Ich habe ein Bild von ihm. Wenn ich es ansehe, kann ich ihn lachen hören. Nachts fühle ich seine Hand auf meiner Wange und tagsüber auf meiner Schulter. Er hat mir meinen Namen gegeben. Genau wie er, habe ich braune Augen und dunkles Haar.
Auch mein Großvater, der Vater meiner Mutter, war bei meiner Geburt dabei. Einmal erzählte mir meine Mutter, er hätte mich anfangs wie einen Festbraten gehalten. Meine Mutter lag unter Schock auf dem Boden und mein Vater in einer Blutlache vor ihr.
So begann mein erster Tag.
Schon damals wurde in den Zeitungen geschrieben, dass ich eine Missgeburt bin. Nicht äußerlich. 
Meine Mutter hatte in den ersten Wochen überhaupt kein Interesse an mir.
Bob sagte, sie hätte bei der Geburt so sehr unter Schock gestanden, dass es ihr aufs Gemüt geschlagen ist. Sie konnte die ersten Wochen gar nichts fühlen. Noch nicht mal meine weiche Haut. Das nennt man ein Trauma.
Bob hat mir erzählt, dass sie damals mit mir auf eine kleine Farm in Topeka gezogen ist. Das ist in Kansas. Der Freund von meinem Vater, er heißt Jim, war mit seiner Frau Linda und seinem Sohn Patrick ganz in unsere Nähe gezogen, um uns zu helfen.
Patrick wurde sofort mein Freund.
    Das große Wohnhaus meiner Eltern in Valley Falls ist leider abgebrannt. Mein Vater hatte es angezündet. Er hat sicherlich mit Feuer gespielt. Das darf man aber auch nicht. Man sieht ja, was dabei herauskommt.
Ich habe das Haus einmal kurz mit meiner Mutter besucht, als sie alles verkaufte. Sie machte damals Fotos davon, die ich später gefunden habe. Es war eine tolle Farm.
Einmal habe ich sie gefragt, warum sie das Haus damals nicht wieder neu gebaut hat. Sie sagte, es gibt Dinge, die man nicht wiederholen muss. Die Farm war also auch so ein Ding, das man nicht wiederholen sollte. Was auch immer sie damit meinte.   
    Ich habe eine besondere Gabe von meinem Vater geerbt. Ich kann sehr gut malen. Wenn ich Fotos habe, kann ich sie haargenau abmalen.
Ich durfte mein Zimmer hier anmalen. Leider nur in einer Farbe. Das Zimmer ist sehr klein. Es war mal weiß, aber Bob hat mir erlaubt, es hellblau zu streichen. Blau ist psychologisch die beste Farbe für ein Schlafzimmer, habe ich gelernt.
Wenn ich mich hier umschaue, habe ich es doch recht gut angetroffen. Immerhin bin ich nicht von meinem Heimleiter aufgehängt worden, sondern in einer Klinik gelandet. Es war aber auch verdammt knapp, das mit dem Aufhängen.Bob sagte, ich sei gefährdet. Meine Hemmschwelle sei sehr niedrig. Ich werde gleich einmal nachsehen, was Hemmschwelle heißt.
Nun bin ich genau da gelandet, wo es eine Zeitung schon mal über mich geschrieben hatte. 
Die Welt ist ein Zuchthaus des Tratsches, hat Jim, der Freund meines Vaters, einmal zu mir gesagt. Lass dich nicht ärgern von dem, was andere sagen. Das tue ich nicht. Bis heute nicht.
Mein Vater wurde einmal am Kopf untersucht. Jim sagte, da sind schlimme Sachen rausgekommen. Bei ihm war wohl auch die Hemmschwelle ziemlich niedrig.
Man nannte mich damals Mörderbaby . Es wurde viel über mich geschrieben. Das Wort hört sich doch gut an. Zumindest besser als Zuckerbaby .
    Die Farm meines Vaters ist das schönste Bild, das ich je von einem Foto abgemalt habe. Es hängt jetzt in meinem Zimmer über meinem Schreibtisch.
Gestern habe ich Bob gefragt, wie lange ich bei ihm wohnen darf. Er hat gelächelt und bis auf Weiteres gesagt. Ich habe einen Kalender. Da steht am Ende jetzt bis auf Weiteres drin.
Es ist schön hier. Morgens helfe ich in der Küche und nachmittags schreibe ich über mein Leben.
Ich kann gut kochen. Auch das muss ich von meinem Vater geerbt haben. Manchmal komme ich mir vor wie ein Restaurantbesitzer. Ich habe ein Schild gemalt, das hängt über der Ausgabetheke. Da steht Running Horse drauf. So hieß das Restaurant meines Vaters einmal. Ist das nicht cool? Mein Vater hat sein Restaurant erst mit 23 Jahren bekommen, ich mit 12. Ich bin eindeutig besser als er. In allem. Auch im
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