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Verzwickt chaotisch

Verzwickt chaotisch

Titel: Verzwickt chaotisch
Autoren: Bettina Belitz
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meine einzige und damit automatisch auch beste Freundin – und sie akzeptierte es, dass ich die meisten Nachmittage mit meinen Jungs verbrachte, obwohl die fast durchweg ihr Luftblasengesicht aufsetzten und kaum etwas redeten. Bei Serdan war es ganz schlimm geworden. Er grunzte nur noch oder nickte oder schüttelte den Kopf. Eigentlich war es ganz angenehm, nach dem Dauerschweigen in der S-Bahn von jemandem wie Sofie mit Neuigkeiten überschüttet zu werden, auch wenn diese Neuigkeiten in meinen Augen furchtbar uninteressant waren.
    Nervig fand ich nur, dass Leander feixend danebenstand, seine Zunge rausstreckte und tat, als würde er etwas ablecken, während Sofie mir Küsschen gab. Anscheinend fand er ihr Geküsse ungeheuer komisch. Das konnte er ja gerne tun – aber er wurde langsam verdammt unvorsichtig.
    Nachdem Leander seinen Körper bekommen hatte, war er peinlich darauf bedacht gewesen, weiterhin so zu tun, als sei er ein ganz normaler Wächter, durchsichtig und allerhöchstes mit einer Gestaltvorstellung. Das Absurde an Sky Patrol war nämlich, dass viele Wächter sich klammheimlich einen Körper wünschten und ihn sich ausmalten, während sie transparent über uns Menschen schwebten. Sie selbst konnten diese Körperwunschvorstellungen aneinander sehen. Sogar ich hatte sie bei Leanders Familie sehen können, wenn auch bei keinem anderen Wächter. Das war vermutlich eine Art Rückkopplung des Fluchs.
    Solange Leander sich also wie ein mustergültiger Wächter verhielt, konnten die Wächter meiner Klassenkameraden nicht erkennen, dass er einen menschlichen Körper besaß. Denn ein echter menschlicher Körper galt als absolute Schande und Leander musste damit rechnen, dass sie etwas mit seinem Körper anstellten, wenn sie ihn bemerkten. Was das genau sein sollte, wusste ich nicht, und ich zweifelte auch daran, dass Leander das wusste. Aber anfangs hatte er große Angst davor gehabt. Wächter gingen nicht gerade zimperlich miteinander um.
    Doch nun wurde Leander forsch. Immer öfter schaute er sich während des Unterrichts neugierig um, anstatt die Augen niederzuschlagen, brummelte leise etwas in sich hinein, kommentierte flüsternd, was meine Lehrer da vorne verzapften, oder spielte mit seinem Stirntuch herum. An besonders guten Tagen half er mir auch im Französischunterricht, indem er mir wispernd vorsagte.
    Er meinte, es hätte sich inzwischen bestimmt sowieso unter den Wächtern herumgesprochen, dass er nicht ganz normal sei (eine sehr treffende Formulierung, wie ich fand). Und dann könne er auch machen, was er wolle. Narrenfreiheit. Zumal ich ja gar keinen Wächteranspruch mehr hätte. Wieso also solle er so tun, als würde er mich bewachen? Er sei arbeitslos.
    Außerdem würden es die Wächter meiner Klassenkameraden nicht immer so genau nehmen mit ihren Klienten. Wir seien ein pubertärer, frühreifer Haufen, hatte Leander auf dem Schulweg noch abschätzig behauptet. Allenfalls Sofies Wächter sei mit Elan bei der Sache und die beiden Wächter von unserem Klassenbesten Fabian und Vertrauensschülerin Alina. Die anderen würden den Unterricht schon ab und zu für kleinere Freiflüge nutzen und erst in den Pausen wieder auftauchen.
    Tja, und ausgerechnet neben Sofie, deren Wächter noch Ehrgeiz hatte zu arbeiten, äffte Leander uns nach. Ich hätte ihm in den Hintern treten können. Ich hatte keine Lust auf Schutzengelärger oder gar darauf, dass Leanders Truppe zu Besuch kam. Das eine Mal hatte mir gereicht. Ich wusste zwar, dass die Wächter den Tod verabscheuten und somit keine Gefahr für uns Menschen darstellten – aber wohl war mir in ihrer Gegenwart nicht gewesen. Sie produzierten schauderhafte Töne – viel zu schrill und grell – und redeten über uns Menschen, als seien wir völlig armselige, missgebildete Kreaturen. Nein, es reichte wahrhaftig, dass Leander an mir klebte. Und er sollte sich gefälligst zusammenreißen und wenigstens so tun, als sei er noch ein ganz normaler Wächter. Ohne menschlichen Körper und Achselhaare.
    Ich versuchte, Leander einen warnenden Blick zuzuwerfen, doch er hatte sich schon abgewandt und vor meinem Pult auf den Boden gesetzt – stets ein sicheres Zeichen dafür, dass Herr Rübsam auf dem Weg zu unserem Klassenzimmer war. Leander hatte sehr feine Ohren. Wahrscheinlich hörte er Herrn Rübsams Schritte – und das, obwohl Herr Rübsam wie jedes Jahr zwischen März und November seine braunen Gesundheitssandalen mit den durchgelatschten Sohlen trug. Herr
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