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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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das aktuelle Exemplar jeden Donnerstag im Briefkasten zu haben. Am Wochenende würde ich mich dann den Rätseln widmen. Einfach nur abschalten und die Füße hochlegen. (Großartig weg konnte ich ja nicht. Wegen Mutter.) Ich warf einen erneuten Blick auf besagten Zettel, ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, dass er mein Leben von Grund auf ändern sollte. Obwohl ich nicht damit rechnete, am Wochenende jemanden zu erreichen, griff ich zum Telefon und wählte die Hamburger Nummer. Nach dreimaligem Klingeln wurde abgehoben.
    »Stiller«, meldete sich eine Männerstimme.
    Oh. Das war der, von dem Rainer mir erzählt hatte. Der war bestimmt ganz heiß darauf, endlich ein Abo zu verkaufen. Ich räusperte mich. »Mein Name ist Bergmann. Toll, dass Ihr Büro auch am Wochenende …«
    »Danke für Ihren Rückruf«, unterbrach mich der Mann. Er hatte eine tiefe, sonore Stimme und klang auf einmal ganz aufgeregt.
    »Carin Bergmann?«
    »Ja?«
    »Carin mit C?«
    »Ähm … ja?!«
    »Geboren am 7. Juli 1967 in München?«
    »Ja! Genau die bin ich!«
    »Wohnhaft von 1979 bis 1983 in Tutzing am Starnberger See?«
    »Ja!« Der Mann war aber gut informiert!
    »Die Carin Bergmann, die ins Liebfrauen-Gymnasium gegangen ist?«
    »Äh … ja?« Meine Güte, was das Internet doch alles für Informationen über einen ausspuckte! Und das, obwohl ich doch nur ganz arglos eine Illustrierte abonnieren wollte! Vielleicht wusste er auch noch meine damaligen Lieblingsfächer Musik und Turnen? Oder den Namen meines Lateinlehrers, Eberhard Brünger, der mich mit einer Vier minus durchs große Latinum gebracht hatte?
    Doch der engagierte Mitarbeiter aus Hamburg hatte eine noch viel größere Überraschung für mich parat. Herr Stiller wusste sogar, dass meine Mutter Paula hieß. »Sie machen Ihren Job aber gründlich«, lobte ich den fleißigen Mann. (Das hätte Mutter auch getan.) »Und das am Samstag, mitten in den Sommerferien!« Bestimmt hatte der nichts Besseres zu tun, als Leute zu googeln und sie mit solchen Informationen zu beeindrucken.
    »Sie sind ledig und Leiterin der städtischen Bibliothek?«
    »Auch das ist korrekt.«
    »Sie leben mit Ihrer Mutter im Maiblümchenweg 17 a?«
    »Sie sind ein Ass!« Ich lachte. »Bestimmt kennen Sie auch die Farbe unserer Wohnzimmertapete!«, scherzte ich. »Und was es heute Mittag bei uns zu essen gab?«
    »Nein.«
    »Aber dass unser Nachbar Rainer Frohwein heißt, wissen Sie. Sonst hätten Sie ja nicht bei ihm angerufen.«
    »Ich konnte Sie persönlich nicht erreichen«, sagte der übereifrige Mensch. »Ich bitte um Entschuldigung.«
    »Ich wollte eigentlich nur den Stern abonnieren«, erklärte ich. »So dringend, dass Sie deshalb extra bei meinem Nachbarn anrufen müssen, ist das auch wieder nicht.«
    Der Mann vom Verlag räusperte sich verlegen. In der Leitung blieb es lange still. Merkwürdig. War das irgendein Trick für die »Versteckte Kamera«? Hockte der Mann in Wahrheit mit einem Fernglas hinter der Hecke? Ich überlegte gerade, ob mein gut informierter Gesprächspartner auch noch mein Gewicht, mein Lieblingsgericht und den Farbton meiner Strähnchen kannte, als er eine Frage stellte, die mir komplett den Atem verschlug.
    »Und waren Sie 1983 als Leiterin der Katholischen Jugend im Ferienlager Ried am Wolfgangsee?«
    Mein Herz begann zu rasen. An diese Zeit wollte ich NICHT erinnert werden. Nie mehr. Auch nicht von einem Abo-Verkäufer aus Hamburg oder wer immer der war.
    »Ja«, flüsterte ich mit trockener Kehle. »Aber das ist wirklich vollkommen uninteressant. Ich wollte nur eine Zeitschrift abonnieren.«
    »Dann kannten Sie auch den damaligen italienischen Austauschvikar Alessandro Bigotti?«
    Meine Beine gaben nach. Ich hörte ein Klirren, als ich aus Versehen irgendwas vom Tisch fegte, bevor ich aufs Sofa sank. Die Vase mit Rainers Blumenstrauß. Eine übel riechende Lache breitete sich auf dem Teppich aus.
    »Wer sind Sie?«, hörte ich mich flüstern. »Was wollen Sie von mir? Lassen Sie mich in Ruhe!« Ich wollte ihn anschreien, diesen unheimlichen Störenfried. Aber ich schrie nicht. Ich bekam keinen Laut heraus. In meinen Ohren dröhnte es, als hätte sich ein Düsenjäger in meine Gehörgänge verflogen. Das war doch nicht … Das konnte doch nicht … Warum heute? Warum jetzt? Es rauschte im Hörer. Es rauschte in meinem Kopf. Ich wollte etwas sagen, egal was, konnte aber nicht. Der Mann namens Stiller sagte auch nichts mehr. Er WAR nicht von der Abo-Abteilung des Stern . Ich
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