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Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Verwechseljahre: Roman (German Edition)

Titel: Verwechseljahre: Roman (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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schreiben. Aber nachdem wir Wand an Wand wohnten, und das seit achtzehn Jahren, waren seine Bemühungen um mich auch etwas penetrant. Als Frühpensionär mit amtsärztlich bescheinigtem Burn-out-Syndrom hatte der Mann eindeutig zu viel Zeit. Für mich.
    »Rainer! Nicht noch ’n Gedicht! Mutter sagt, da hat jemand aus Hamburg für mich angerufen?«
    »Wie?« Rainer wühlte in den Untiefen seiner ausgebeulten Cordhose. »Ach so, entschuldige. Das solltest du erst später kriegen.«
    Mutter ließ uns nicht aus den Augen.
    Ich kam mir total bescheuert vor, als ich da mit ausgestreckter Hand auf dem Balkon stand. Doch was Rainer Frohwein nun aus der Hosentasche zauberte, war ausnahmsweise mal kein Gedicht. Mir entfuhr ein erleichterter Seufzer. Na also, geht doch! Es war eine Telefonnummer mit Hamburger Vorwahl.
    »Bestimmt vom Verlag«, stellte ich fest, nachdem ich die Lese brille aufgesetzt hatte. Ich warf ihm ein strahlendes Lächeln zu.
    »Es war ein gewisser Roman Stiller dran«, bemerkte Rainer eifrig.
    »Sicherlich ein Mitarbeiter aus der Abo-Abteilung.«
    Mein Nachbar zuckte die Achseln. »Er bittet um dringenden Rückruf.«
    Ich sah auf die Uhr. »Es ist schon nach sechs. Meinst du, ich kann da jetzt noch anrufen? Ich wollte einfach nur den Stern abonnieren. Da ist sicher niemand mehr im Büro.«
    In Rainers Augen glomm Hoffnung auf. »Ich kann das auch gern für dich im Internet erledigen.« Schon trat er näher an unsere halbhohe Trennmauer heran. Der Wäscheständer wackelte bedenklich. Ich sah, wie die winzigen Schweißperlen auf Rainers sommersprossiger Stirnglatze in der Sonne glänzen.
    »Lass nur, das kann ich auch«, entgegnete ich würdevoll.
    »So lass dir doch von Rainer helfen, Kind! Er meint es nur gut.«
    »Mutter!«
    »Ich will mich ja nicht aufdrängen«, beteuerte Rainer, ohne rot zu werden.
    Nein. Nicht doch. Rainer und aufdrängen? Was für ein absurder Gedanke, stöhn! Ich warf dem in Liebe Entbrannten einen genervten Blick zu. Diesen Spruch hörte ich ebenfalls seit Jahren. Warum tat er es dann? Immer wenn ich ihn bat, meine Privatsphäre zu respektieren, sagte er Sätze wie: »Du bist ein freier Mensch. Tu, wonach dir ist. Entfalte dich nach Herzenslust.« Dabei schien er sich unheimlich großzügig vorzukommen. Als ob es eine Gnade wäre, von ihm in Ruhe gelassen zu werden. Ich meine, hallo? Wir waren Nachbarn! Wir waren KEIN PAAR! Jedenfalls nicht aus meiner Sicht. Ich schluckte und versuchte, eine unangenehme Erinnerung in den Schlund des Vergessens zurückzubefördern.
    »Siehst du, Kind, er will sich nicht aufdrängen!«, sagte Mutter wie zu einem lernbehinderten Erstklässler. »Er hält sich bescheiden im Hintergrund.«
    Na, das wüsste ich aber! Ich schob Mutter so, dass sie ein wenig in die Sonne blinzeln konnte. »Hast du alles?«
    »Ja, ja, Kind, mir geht es gut. Kümmere dich ruhig um deine Angelegenheiten.«
    Täuschte ich mich, oder zwinkerte sie Rainer vertraulich zu? Ich schüttelte den Kopf. »Du meldest dich, wenn du mich brauchst?«, fragte ich Mutter. Dasselbe fragte mich Rainer. Mit leerem Blick starrte ich ihn an. Ging wieder in die Wohnung. Und zog die Balkontür laut vernehmlich hinter mir zu. Man sollte doch eine gewisse Distanz wahren. Denn war Rainer erst mal bei uns in der Wohnung, ging er nicht so schnell wieder. Dann fand er hier was zum Schrauben, dort was zum Sägen, holte mit großer Geste seinen Handwerkskoffer der Marke Jippijahaha hervor und hatte schon wieder eine Duftmarke gesetzt. (Nein, zum Pinkeln ging er schon noch nach nebenan, aber Sie wissen, was ich meine.) Es wäre halt so praktisch gewesen! Rainer und Mutter träumten gleichermaßen davon, die Wand zwischen unseren Dreizimmer-Eigentumswohnungen niederzureißen. Die Umbaupläne hatte Rainer schon gezeichnet. Dann wären wir eine perfekte Kleinfamilie. Vater, Mutter, Großmutter. Denn ein Kind hatten wir ja keines. Leider.
    Das war ein dunkles Kapitel in meinem Leben. Ich wischte mir hastig über die Augen. Bloß nicht darüber nachdenken. Das war Vergangenheit.
    Die Vorstellung, mit Rainer zusammenzuziehen, war einfach bizarr. Besonders die Vorstellung von einem gemeinsamen Schlafzimmer »nach hinten raus«. (Bitte nicht falsch verstehen. Die ursprüngliche Bedeutung ist schon schlimm genug.) In Eiche rustikal. Mit bügelfreier Frotteebettwäsche. Dann doch lieber ein Massai, der nicht lesen und schreiben kann (und die Missionarsstellung nicht mal ansatzweise in Erwägung zieht). Oder
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