Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Versteckt

Versteckt

Titel: Versteckt
Autoren: Jack Ketchum
Vom Netzwerk:
Zweck? Keine Ahnung.
    Und dieser Mechanismus bist du.
    Aber es spielen auch Glück, Schicksal und Zufall eine Rolle. Alles, was du nicht bist, was dich aber trotzdem unwiderruflich und für alle Zeiten verändert.
    Na ja, vergesst das besser gleich wieder.
    Ich bin ein Idiot. Und ich schweife ab.

2
    Sie hat mir von Anfang an Angst gemacht. Eigentlich gilt das für alle drei. Zum einen waren sie reich, und mit reichen Jugendlichen in meinem Alter hatte ich keine Erfahrung.
    Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass es keinen ärmeren Bezirk im ganzen Land gibt als Washington County. Das Durchschnittseinkommen ist ungefähr so niedrig wie in, sagen wir, Appalachia. Jeder, den ich kannte, lebte von der Hand in den Mund. Und plötzlich kommen diese drei reichen Kids in Caseys wunderschönem altem weißem 54er Chevy-Cabrio oder Stevens blauem Chrysler Le Baron angefahren. Als ob Dead River kein altes, trauriges Kaff, sondern Scarsdale oder Beverly Hills wäre. Ich hatte keine Ahnung, was sie in diesem Teil von Maine verloren hatten. In Mount Desert traf man vielleicht solche Leute. Aber hier in Dead River? Ich wusste, dass ihre Familien befreundet waren und aus Boston kamen. Vielleicht hatten ihre Eltern den grandiosen Einfall gehabt, dass man hier gut Urlaub machen könnte, und deshalb waren sie hier. Die drei hatte jedenfalls niemand gefragt.
    So viel war sicher: Besonders toll fanden sie es nicht. Es machte sie verrückt.
    Und das machte mir so richtig Angst.
    Man musste sie sich ja nur mal ansehen. Besonders Casey. In ihren Augen lag eine verächtliche, schamlose Unverfrorenheit.
    Rücksichtslosigkeit. Leichtsinn. Das macht mir Angst. Sogar heute noch.
    Allein das hier aufzuschreiben ist irgendwie leichtsinnig. Denn damit kommt alles wieder hoch, alles, was ich so lange verdrängt habe. Nicht nur das, was geschehen ist. Sondern auch, was ich für Casey empfunden habe und immer noch empfinde. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, aber ich werde es rausfinden.
    Und zwar jetzt.
    Woher ich weiß, dass sie verrückt war? Da war die Sache mit dem Auto.
    Es geschah im Juni, ziemlich sicher an einem Samstag oder Sonntag, weil Rafferty und ich freihatten. Soweit ich mich erinnere, war es ungewöhnlich heiß für die Jahreszeit, daher kauften wir bei Harmon’s ein Sixpack und fuhren zum Strand.
    In der Umgebung von Dead River gibt es nur einen guten Sandstrand, ansonsten ist überall Kies. Oder es geht gleich zehn Meter die Klippen runter. Daher trifft man an heißen Tagen auch jeden, den man kennt, an diesem Strand. Weil wir in diesem Jahr erst zwei, drei wirklich schöne Tage hatten, war sie natürlich auch da. Weit weg von uns, bei dem Trampelpfad, der auf die Klippe führt. Alle drei waren dort.
    Zuerst bemerkten wir sie gar nicht. Raffertys Interesse galt in erster Linie Lydia Davis, die ein paar Meter entfernt von uns auf einem Handtuch lag. Ich hatte ein Auge auf ein paar Touristinnen geworfen. Manchmal, wenn der Wind über die Klippen strich, wehten ein paar Musikfetzen aus ihrem Radio zu uns herüber, das war alles. Der Strand war ziemlich belebt, und es gab viel zu sehen.
    Dann ging dieses Mädchen an mir vorbei zum Wasser hinunter. Ich konnte ihr Gesicht nur ganz kurz sehen.
    Das Meer war selbstverständlich noch viel zu kalt. Nicht mal die kleinen Kinder gingen rein. Vor dem späten Juli oder August kam keiner auf die Idee, hier zu schwimmen. Ich beobachtete, wie sie zitternd zurücksprang, als die erste Welle über ihre Füße rollte. Sie trug einen atemberaubenden schwarzen Bikini. Aus irgendeinem Grund war sie schon tief gebräunt. Selbst auf die Entfernung konnte ich erkennen, dass sie eine Gänsehaut hatte.
    Ich sah zu, wie sie wieder ins Wasser stieg. Bald reichte es ihr bis zu den Waden.
    Rafferty beobachtete sie ebenfalls. »Mehr Herz als Verstand«, sagte er.
    »Aber hübsch«, fügte ich hinzu.
    »Das auch.«
    Dann sprang sie in die Fluten.
    Es war ein sauberer, kraftvoller Sprung. Als sie prustend wieder auftauchte, sah sie in unsere Richtung. Ihr langes, glattes dunkles Haar fiel von dem spitzen Haaransatz nach hinten über ihre Schultern.
    Da wusste ich sofort, dass sie keine Einheimische war.
    Ihr Gesicht war so nackt, so rein und stark und gesund, dass sie unmöglich hier geboren sein konnte. Nicht in Dead River.
    Wir gehören hier nämlich alle zum selben Schlag. Oder zumindest in eine von zwei Kategorien:
    Entweder ist man so arm und verkümmert und jämmerlich wie die verwachsenen Zwergpinien, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher