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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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Bahnhof in Den Haag gebracht, der Zug nach Westerbork stand schon bereit.
    Wir hatten Glück. Mein Vater hatte sich ein paar Monate zuvor dazu überreden lassen, in Leiden einen Judenrat zu gründen – in der Hoffnung, Schicksalsgenossen auf diese Weise helfen zu können. Als wir am Gleis standen, sagte er: »Denkt daran, ihr steigt nicht in den Zug. Ich werde den Chef suchen.« Der Mann hieß Fischer und wurde wegen seiner besessenen Jagd auf Juden auch »Judenfischer« genannt.
    »Ich bin der Leiter des Judenrates in Leiden«, sagte mein Vater, »ich muss auf meinen Posten zurückkehren.«
    »Ihr Gesicht gefällt mir nicht«, sagte Fischer, der einiges intus hatte. Dennoch fuhr der Zug ohne uns ab.
    Jetzt mussten wir wirklich untertauchen. »Ihr könnt zu meinem Bruder, Meindert Zaalberg«, sagte Tante Truus, eine Bekannte, mit der meine Mutter im Kirchenchor sang. Tante Truus musste hartnäckig auf meine Eltern einreden, sie wollten eigentlich nicht untertauchen. Mein Vater war immer noch davon überzeugt, dass er anderen helfen konnte. Schließlich stimmten sie aber zu, wir packten unsere Koffer und gingen mit Onkel Meindert zu seiner Töpferei in Leiderdorp.
    Onkel Meindert war im Widerstand. Bei ihm zu Hause wurden Schießübungen abgehalten, sie schossen auf Torf haufen. Mit dem Torf wurden die Öfen der Töpferei geheizt. Oben im Haus, das neben der Töpferei stand, hatten meine Eltern zwei kleine Zimmer.
    Eines Abends sang Onkel Meindert bei uns in dem kleinen Zimmer und spielte Gitarre dazu. Es war ein niederländischer Text zu der Melodie der Hatikva, der späteren Nationalhymne Israels. Ich hatte sie noch nie gehört und war sehr gerührt.
    Onkel Meindert war ein beseelter Mensch mit sehr starkem Glauben. »Um unser Haus steht eine Mauer«, sagte er, »und niemand kommt hindurch.« In diesem Satz lag so viel Kraft. Ich fand das beeindruckend. Trotz seiner Überzeugung traf er Maßnahmen, wenn Gefahr drohte. Als er von ein paar Leuten hörte, dass in der Nachbarschaft eine Razzia stattfinden würde, brachte er Vater und Mutter in sein Sommerhaus in Noordwijkerhout. Onkel Meindert behielt Recht: Die Razzia fand statt, aber hörte beim Nachbarhaus auf.
    Ich war da schon weg. Onkel Meindert fand es besser, die Familie zu trennen. Sollte es eine Razzia geben, würden sie uns nicht alle gleichzeitig erwischen.
    Meine erste eigene Untertauchadresse war bei Pfarrer Dijk, ebenfalls in Leiderdorp. In diese Familie kehrte ich regelmäßig zurück, um von dort wieder mal zu einer anderen Untertauchadresse zu wechseln.
    Nach ein paar Wochen sorgte Onkel Meindert dafür, dass ich in Breda zu der Frau eines hochrangigen Militärs kam, der in Kriegsgefangenschaft in Polen war. Sie nahm mich liebevoll auf, aber ihre Kinder hatten Probleme mit mir. Was war das für ein seltsamer Junge, der nicht nach draußen durfte?
    Von meinem Zimmer aus, einem schönen Raum, schaute ich auf die Straße. Manche Kinder spielten Verstecken, andere sprangen Seil. Ich bekam Heimweh und schrieb lange Briefe an meine Eltern. Unsere Kontaktperson im Widerstand, Onkel Slothouwer nannte ich ihn, überbrachte sie.
    Später konnte ich zur Familie Marijnissen ziehen, die in der Nähe der belgischen Grenze wohnte. Onkel Toon Marijnissen war Förster, er hatte die Aufsicht über ein großes Landgut. Tante Net und Onkel Toon hatten ein kleines Kind, Jan, und einen Schäferhund namens Max. Onkel Toon musste Wilderer schnappen, aber selbst wilderte er mindestens genauso viel. Wir aßen oft Kaninchen und Hasen. Obwohl ich nicht typisch jüdisch aussah, hielt Tante Net es für besser, meine Haare zu blondieren. Das machte sie in der Küche. Ich stand auf einem Schemel und musste den Kopf in eine Schüssel halten, während Tante Net meine Haare behandelte. Das Zeug, das sie mir in die Haare schmierte, musste einwirken. Danach spülte sie es unter der Pumpe aus. So hatte ich hellbraune Haare.
    Ich hatte auch Aufgaben im Haus. Jeden zweiten Tag ging ich zwei Kilometer zu einem benachbarten Bauern Milch holen. Er hatte zwei Töchter, die ganz versessen auf mich waren. Und ich bekam allerlei Leckereien. Auf der Wiese hinter unserem Haus schnitt ich jeden Tag Gras für die Kaninchen.
    Onkel Toon und Tante Net waren beliebt, an ihren Kartenabenden gingen Freunde und Bekannte ein und aus. Mir war klargemacht worden, dass ich nicht über meine Herkunft reden durfte. Aber die engeren Freunde müssen gewusst haben, dass ich kein Neffe war, sondern ein
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