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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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dass nicht dein Mann hier zu mir auf den Bauernhof gekommen ist, dann hättest du wenigstens ihn noch gehabt.«
    Als meine Untertauchmutter Jahrzehnte später in ein Pflegeheim kam, räumte der Sohn, Gert, das Elternhaus leer. Er fragte mich: »Gibt’s noch was aus dem Haus, was du gern als Erinnerung hättest?«
    »Das gibt’s schon«, antwortete ich, »aber ich traue mich nicht danach zu fragen.«
    »Frag ruhig.«
    »Die Uhr«, sagte ich.
    »Hör zu, die Uhr kommt jetzt zu Mutter ins Pflegeheim, aber wenn der Tag kommt, an dem Mutter Abschied von dieser Welt genommen hat, gehört sie dir.«
    Sie starb ein paar Jahre später. Nach der Beerdigung haben wir im Pflegeheim noch etwas gegessen und einen Kaffee getrunken. Danach ging Gert zu ihrem Zimmer, nahm die Uhr von der Wand und überreichte sie mir.
    Es ist die Uhr aus dem Wohnzimmer des Hauses in Veenendaal, in dem ich den größten Teil meiner Untertauchzeit verbracht habe. Ich schlief in einem Zimmer über dieser Uhr und hörte ihr Ticken durch den Fußboden. Es gab mir ein vertrautes Gefühl. Andererseits ist diese Uhr auch eine bleibende Erinnerung an die dunkelste Zeit meines Lebens.

Ein jahrelanger Weinkrampf

    Donald de Marcas,
geboren in Leiden am 29. Juni 1933
    Meine Großeltern sind allesamt lange vor dem Krieg gestorben. Zum Glück brauchten sie den Krieg nicht zu erleben. Die Mutter meines Vaters handelte mit Lumpen, Metall und Fellen, aus denen Leder gemacht wurde. Mein Großvater De Marcas hatte in Zwolle eine Konditorei. Da meinem Vater diese Arbeit nicht zusagte, hatte er in Deutschland Herrenausstatter gelernt. Um 1930 übernahm er in Leiden ein Kleidungsgeschäft.
    Mein Zuhause war immer von einer samtenen Wärme umgeben. Sanftmütig – so erzog mich meine Mutter. Wir schmusten viel. Weil meine Mutter eine auffällig kleine Frau war und meine Geburt dadurch sehr kompliziert verlief, blieb ich das einzige Kind. Meine Mutter sang oft für mich und begleitete sich dabei selbst auf dem Klavier. Sie sang mich in den Schlaf. Sie hat mir mal erzählt, ich hätte dabei schon vom Kinderbett aus immer Töne von mir gegeben. Offensichtlich wollte ich mitsingen.
    Zu meinem Vater hatte ich ein weniger vertrautes Verhältnis. Ich war selten in seinem Geschäft, und wenn ich als kleiner Junge doch einmal dort war und spielte, musste ich ganz still sein. Das war schwierig, ich plapperte viel. Es war ein ziemlich schickes Geschäft; zu seinem Kundenkreis zählten der Bürgermeister und der Gemeindevorstand von Leiden und Professoren von der Universität. »Diese Frau lacht ja wie eine Ziege«, sagte ich einmal über eine Kundin. Mein Vater zerrte mich sofort mit nach hinten.
    Das Geschäft war in den Sommermonaten ganz normal geöffnet. Daher fuhren meine Eltern immer getrennt in Urlaub, während ich dann bei einer Freundin meiner Mutter blieb. Dort hatte ich plötzlich einen Bruder und eine Schwester und zwei schöne Hunde, Boxer. Ich fand das großartig.
    Ich erinnere mich gut an die bedrohliche Stimmung, die kurz vor dem Krieg herrschte. Meine Eltern gingen oft mit Freunden nach Noordwijk. Dort saßen sie auf einer Terrasse am Meer und redeten, es war 1939. Ihr Gespräch begriff ich nicht – ich war erst sechs –, aber ich spürte die Sorgen und die Angst.
    Mein Zimmer in Leiden grenzte an das Elternschlafzimmer. Durch die Tür zwischen den beiden Räumen hörte ich sie an dem Morgen, als der Krieg ausbrach, über die Nachrichten im Radio reden. Der Krieg ließ mich zum ersten Mal spüren, dass Juden als andere Menschen betrachtet wurden. Der Krieg hat mich zum Juden gemacht.
    Richtig bedrohlich wurde der Krieg, als mein Vater sein Geschäft schließen musste. Kurze Zeit später mussten wir auch unser großes Haus am Botermarkt verlassen und zur Familie Mok ziehen, einer anderen jüdischen Familie in Leiden. Sie hatten einen Garten, in dem ich Ringelblumen und Gartenkresse säen durfte.
    Während dieser Zeit haben wir einmal versucht unterzutauchen, bei einem Zimmermann, Herrn Holzleim, wie meine Eltern ihn nannten. Wir haben damals vorübergehend auf einem schlecht beleuchteten Dachboden gehaust. Nach zwei Wochen hielten meine Eltern es nicht mehr aus und wir gingen zurück zur Familie Mok.
    Eines Nachts weckte mich meine Mutter. Im Türrahmen meines Zimmers stand ein NSB -Mann. Wir wurden aus den Betten geholt und in einem Überfallwagen zum Polizeipräsidium in Leiden gefahren, wo wir lauter jüdische Bekannte trafen. Danach wurden wir zum
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