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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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Familien eine Nachricht hinterlassen: »Ich habe deinen Vater oder Ihren Sohn in der Schule gesehen.«
    Am nächsten Tag wurden die Männer auf Transport gestellt und ins Konzentrationslager Mauthausen gebracht. Die ersten Todesnachrichten kamen schon zwei Wochen später. Einer wurde »auf der Flucht erschossen«, ein anderer bekam Fleckfieber, wieder ein anderer war angeblich an einer Lungenentzündung gestorben. In Wirklichkeit schufteten sie sich buchstäblich zu Tode. Nach zwei Monaten waren sie tot. Allesamt.
    Das wussten wir, weil die Deutschen Sig Menko, den Vorsitzenden des Judenrates in Enschede, auf dem Laufenden hielten. Als Mitarbeiter des Rates begleitete mein Vater den Vorsitzenden zur monatlichen Sitzung des Judenrates in Amsterdam. Während einer dieser Sitzungen stand Sig Menko auf. »Meine Herren, wir können unseren Leuten nur einen einzigen Rat geben: untertauchen.«
    In diesem Moment wurde die Sitzung aufgelöst. Es hieß: »Über dieses Thema kann hier nicht gesprochen werden. Wir sprechen hier nicht übers Untertauchen.« Da sagte Menko: »Sanders, komm mit. Wir verlassen die Sitzung, und ich werde nie wieder herkommen. Du gehst so oft wie nötig nach Amsterdam, um zuzuhören. Dabei bleibt es. In Enschede werden wir ausführen, was wir ausführen müssen, aber wir werden uns querstellen, wo wir nur können.«
    Da mein Vater für den Judenrat arbeitete, bekam er eine Sperre . Viele Bekannte meines Vaters kamen mit dem Zug nach Enschede zu unserem Haus in der Nähe des Bahnhofs, sie kamen durch die Haustür rein, blieben zwei, drei Nächte und verschwanden durch die Hintertür zu einer Untertauchadresse. Das geschah in Zusammenarbeit mit der Widerstandsgruppe von Pfarrer Overduin . Das fand ich spannend, ein Abenteuer.
    Wir waren auch sehr gespannt, was passieren würde, wenn wir selbst untertauchen mussten. Wir wussten, dass wir dann zu Fremden ins Haus kämen, auf sie hören und essen müssten, was auf den Tisch kam. Das Essen wäre sicherlich nicht koscher , wie wir es gewohnt waren. Wir waren die letzten jüdischen Kinder von Enschede, die anderen waren schon alle weg.
    Am Freitagnachmittag, dem 9. April 1943, war es so weit: Meine Schwestern und ich wurden zu einer fremden Familie gebracht. Abends wurden wir abgeholt; ich übernachtete bei der Familie Overduin, meine Schwestern woanders. Am nächsten Tag wurden wir in den Zug nach Arnhem gesetzt, meine Schwestern und ich in verschiedene Abteile, jeweils mit einem Begleiter. In Arnhem nahmen meine Schwestern und ich den Bus zu einem anderen Pfarrer. Dort blieben wir nicht. Am Nachmittag musste ich mit dem Bus nach Veenendaal, wo ich eine Nacht bei der Familie van Schuppen bleiben konnte, den Besitzern der Zigarrenfabrik Ritmeester. Als ich abends schlafen ging, entdeckte ich in meinem Koffer einen Pullover mit einem Judenstern darauf. Ich habe versucht den Stern abzutrennen, aber das war sinnlos, der Stoff darunter war viel weniger verwaschen als der Rest des Pullovers, wodurch der Stern sichtbar blieb. Wir verbrannten den Pullover sofort.
    Bei der Familie van Schuppen bläute man mir immer wieder ein, dass ich jetzt nicht mehr Johan Sanders war, sondern Johan van de Berg aus Rotterdam. Meine Mutter war bei der Bombardierung Rotterdams ums Leben gekommen und mein Vater konnte nicht für mich sorgen.
    Am Montagabend, dem 12. April, holte ein Herr van Dijk meine Schwestern ab. Eine Stunde später wurde ich von Herrn van Engelenburg abgeholt und tauchte als Johan van de Berg unter. Es war dunkel, als wir bei ihm zu Hause ankamen. Von einem Tag auf den anderen wurde ich in eine christliche Familie aufgenommen, der Mann war Nachtpförtner bei der Zigarrenfabrik Ritmeester, wo er bis Mitternacht arbeitete. Ich musste mich an alles gewöhnen: an meine Gasteltern, an den Geruch des Hauses, daran, dass ich mit meinen elf Jahren bei einem fünfjährigen Jungen im Bett schlafen musste, während ich zuvor immer ein eigenes Bett gehabt hatte. Meine Untertaucheltern wollten, dass ich jeden Tag mit diesem Jungen, der Gert hieß, Quartett oder Mensch-ärgere-dich-nicht spielte. Das Quartettspiel hing mir schnell zum Hals heraus, und noch immer finde ich diese Spiele grässlich.
    Obwohl ich viel älter war, sah Gert mich vor allem als Spielkameraden an. Er war Einzelkind und jetzt hatte er einen großen Bruder. Trotz der erzwungenen Beziehung bauten wir ein gutes Verhältnis zueinander auf, was bis zum heutigen Tag so geblieben ist.
    Da ich nicht besonders
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