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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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Niederlande befreit wurde, am 5. Mai 1945.
    Es dauerte noch anderthalb Monate, bis mein Vater mich abholte. Seltsamerweise habe ich keine Erinnerungen an dieses Ereignis. Weder an die Rückfahrt mit dem Zug nach Leiden noch an das Wiedersehen mit meiner Mutter. Ich weiß wohl noch, dass wir nicht in unser Haus am Botermarkt 17 durften. Das musste erst geräumt werden. Und desinfiziert. Wir konnten in der Zwischenzeit bei einer Cousine meiner Mutter wohnen. Bei ihr hörten wir Radio, wir hörten, wie die Mitarbeiter des Roten Kreuzes Listen mit den Namen von Juden vorlasen, die ermordet worden waren. Bis auf einen einzigen Cousin und eine einzige Cousine war unsere gesamte Verwandtschaft ermordet worden. Ein jahrelanger Weinkrampf setzte ein – eigentlich ein lebenslanger. Der Krieg ist erst vorbei, wenn ich meinen letzten Atem ausgehaucht habe.
    Es zeigte sich, dass es nicht einfach war, die Beziehung zu meinem Vater und meiner Mutter wieder aufzubauen. Ich war so lange für mich selbst verantwortlich gewesen, dass es schwierig war, plötzlich wieder Eltern zu haben, die sich in meine Angelegenheiten einmischten. Und die Entdeckung, dass all unsere Verwandten ermordet worden waren, erzeugte Distanz. Sie steckten fest in ihrem Kummer. Außerdem mussten sie unheimlich hart arbeiten, um das Herrenmodegeschäft wieder aufzubauen. Das war nicht einfach: Mein Vater war sechsundfünfzig, und der Laden war völlig ausgeraubt worden. Sogar die Holzvertäfelung war verheizt worden.
    Im Herbst 1945 war die Wiedereröffnung, und ein Großteil seiner Kunden kehrte zurück. Andere Kunden sagten: »Herr de Marcas, es tut uns leid, aber während des Krieges hat uns Ihr Kollege so gut bedient, wir finden es jetzt mehr als recht und billig, bei ihm zu bleiben.«
    Vater konnte das Elend besser verarbeiten als Mutter. Sie hatte jahrelang Albträume; dann träumte sie vom Konzentrationslager , in dem ihre einzige Schwester ermordet worden war, zusammen mit ihrem Mann und den Kindern. Die Wärme, die meine Mutter mir vor dem Krieg geboten hatte, konnte sie nicht mehr aufbringen.

Glossar
    Alliierte: Verbündete. Die Länder, die im Zweiten Weltkrieg gemeinsam gegen das Deutsche Reich kämpften, wie Kanada, Frankreich, Polen, die Sowjetunion, Großbritannien und die Vereinigten Staaten.
    Arbeitseinsatz: Mehrere Hunderttausend niederländische Zivilisten mussten in Deutschland arbeiten, da viele deutsche Männer zum Militär einberufen worden waren. Die Niederländer wurden durch Razzien aufgestöbert.
    Die Folge war, dass gegen Ende des Krieges viele niederländische Männer versuchten der Zwangsarbeit zu entgehen, indem sie wie die Juden ebenfalls untertauchten.
    Deportation: Abführen oder Abtransportieren einer Person in ein Straf- oder Konzentrationslager.
    Dolle Dinsdag: Als »Verrückter Dienstag« wird der 5. September 1944 bezeichnet.
    Da Antwerpen und Brüssel zwei Tage zuvor befreit worden waren, dachten die Niederländer, dass sie jetzt schnell folgen würden. Alle waren »verrückt« vor Freude. Es dauerte jedoch noch bis zum 5. Mai 1945, bis die Niederlande befreit waren.
    Evakuierung: Räumung eines gefährdeten Gebietes und Unterbringung der Menschen an einem sicheren Ort.
    Frontlinie: Die äußerste Grenze eines Kampfgebiets.
    Gestapo: Deutsche »Geheime Staatspolizei«, die sich hauptsächlich um das Aufspüren von politischen Gegnern kümmerte. Die Gestapo ließ diese »Feinde« ohne jegliche Rechtsprechung in Konzentrationslager einsperren und war bekannt dafür, Gefangene zu foltern.
    Hollandsche Schouwburg: Theater an der Plantage Middenlaan in Amsterdam, das die deutschen Besatzer zwischen August 1942 und November 1943 benutzten, um Juden gefangen zu halten, bevor sie in die Konzentrationslager geschickt wurden.
    Hungerwinter: Winter von 1944 bis 1945, in einem großen Teil der Niederlande herrschte Hungersnot.
    Judenrat: »Eigenes jüdisches Verwaltungsorgan«, das die Juden auf Anordnung der deutschen Besatzer selbst errichten mussten. Der Rat musste die Maßnahmen ausführen, die die Deutschen gegen die Juden verhängt hatten. Wer für den Judenrat arbeitete, wurde vorübergehend von der Deportation befreit und bekam eine sogenannte »Sperre«. Tausende von Menschen waren an der Arbeit dieser Organisation beteiligt. Den Mitgliedern des Rates, vor allem den führenden, wurde oftmals übel genommen, dass sie die Befehle der Besatzer ausführten, und man empfand es als ungerecht, dass sie von der Deportation
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