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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl
Autoren: dtv
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Vorstellungen entwerfen. Mrs.   Jennings‘ Prophezeiungen hatten sich, wenn auch etwas durcheinandergebracht, in der Hauptsache erfüllt, denn sie konnte Edward und seine Gattin tatsächlich zu Michaeli in ihrem Pfarrhaus besuchen, und sie fand in Elinor und ihrem Gatten nach ihrer festen Überzeugung eines der glücklichsten Paare der Welt. Und außer der Vermählung von Colonel Brandon und Marianne und etwas besserem Weideland für ihre Kühe blieb ihnen in der Tat nichts zu wünschen übrig.
    Gleich nachdem sie sich eingerichtet hatten, wurden sie von fast allen ihren Angehörigen und Freunden besucht. Mrs.   Ferrars kam, um das Glück zu besichtigen, das sie sich fast schämte, gebilligt zu haben; und selbst die Dashwoods hatten nicht die Kosten einer Reise nach Sussex gescheut, um ihnen diese Ehre zu erweisen.
    »Ich will nicht sagen, daß ich enttäuscht bin, meine liebe Schwester«, sagte John, als sie eines Morgens vor den Toren von Delaford House zusammen spazierengingen, »das wäre zuviel gesagt, denn, wie es aussieht, bist du gewiß eine der glücklichsten Frauen der Welt. Aber ich gebe zu, es würde mir große Freude machen, Colonel Brandon Schwager nennen zu können. Sein Besitz hier, sein ganzes Anwesen, sein Haus, alles ist in einem so achtbaren, ausgezeichneten Zustand! Und seine Wälder! Solche Bäume, wie sie jetzt auf dem Abhang von Delaford stehen, habe ich nirgends in Dorsetshire gesehen! Und obgleich Marianne vielleicht nicht die richtige Person zu sein scheint, um ihn für sich einzunehmen, denke ich doch, es wäre ratsam für dich, sie nun häufig bei dir zu haben, denn da Colonel Brandon offenbar sehr viel zu Hause ist, kann man nie wissen, was geschehen könnte – denn wenn Leute häufig zusammenkommen und wenig von anderen sehen   ...; und es wird dir immer möglich sein, sie vorteilhaft zu präsentieren und dergleichen; kurz gesagt, du könntest ihr ebensogut eine Chance geben – du verstehst   ...«
    |409| Doch obwohl Mrs.   Ferrars sie tatsächlich besuchen kam und die beiden stets mit dem Anschein geziemenden Wohlwollens behandelte, wurden sie niemals durch wirkliche Gunst oder Bevorzugung von ihrer Seite beleidigt. Das kam der Torheit Roberts und der Gerissenheit seiner Frau zu, die sich Mrs.   Ferrars Gunst schon verdient hatten, als noch kaum einige Monate nach ihrer Heirat vergangen waren. Die selbstsüchtige Schlauheit Lucys, die Robert anfangs in Schwierigkeiten gebracht hatte, befreite ihn im wesentlichen auch wieder davon, denn ihre respektvolle Bescheidenheit, ihre beharrlichen Aufmerksamkeiten und endlosen Schmeicheleien, sobald nur die kleinste Gelegenheit dazu gegeben war, versöhnten Mrs.   Ferrars mit seiner Wahl und setzten ihn wieder vollständig in ihre Gunst ein.
    Lucys ganzes Verhalten bei dieser Sache und der Wohlstand, der es krönte, können daher als ein höchst ermutigendes Beispiel dafür angesehen werden, was eifrige und unablässige Beachtung der eigenen Interessen – selbst angesichts scheinbar unüberwindlicher Hindernisse – ausrichten kann, um sich alle Vorteile des Reichtums mit keinem anderen Opfer als dem der Zeit und des Gewissens zu sichern. Als Robert zuerst ihre Bekanntschaft suchte und heimlich mit ihr in Bartlett’s Buildings zusammenkam, geschah es nur mit der Absicht, die ihm sein Bruder zugeschrieben hatte. Er wollte sie lediglich überreden, die Verlobung aufzugeben; und da nichts weiter zu überwinden sein konnte als die gegenseitige Zuneigung der beiden, erwartete er natürlich, daß die Sache mit ein oder zwei Gesprächen erledigt sein würde. In diesem Punkt, und allein in diesem, irrte er sich jedoch; denn obgleich Lucy ihm bald Hoffnung machte, daß seine Beredsamkeit sie mit der Zeit überzeugen würde, war immer wieder ein weiterer Besuch, ein weiteres Gespräch erforderlich, um zu dieser Überzeugung zu gelangen. Und wenn sie sich trennten, blieben bei ihr immer noch einige Zweifel zurück, die nur in einem Gespräch von einer weiteren halben Stunde mit ihm ausgeräumt werden konnten. Sein Erscheinen war auf diese Weise jedesmal gesichert, und der Rest folgte von selbst. Statt |410| über Edward zu reden, gingen sie allmählich dazu über, nur noch über Robert zu reden – ein Thema, über das er stets mehr zu sagen hatte als über jedes andere und bei dem Lucy bald ein Interesse verriet, das selbst dem seinen gleichkam; kurz und gut, es wurde beiden sehr rasch klar, daß Robert seinen Bruder vollkommen verdrängt
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