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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl
Autoren: dtv
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hätte vorbereiten können, was dann folgte; und als er es dann plötzlich durch einen Brief von Lucy selbst erfuhr, war er wohl eine Zeitlang halb benommen gewesen vor Verwunderung, Abscheu und schließlich Freude über eine solche Erlösung. Er reichte Elinor den Brief.
    |397| Sehr geehrter Herr, – da ich sicher bin, daß ich schon seit langem Ihre Zuneigung verloren habe, glaubte ich mich berechtigt, die meine einem anderen zu schenken, und ich zweifle nicht, daß ich mit ihm ebenso glücklich sein werde, wie ich einmal glaubte, es mit Ihnen sein zu können; doch ich verschmähe es, eine Hand zu akzeptieren, wenn das Herz einer anderen gehört. Ich wünsche Ihnen aufrichtig Glück mit Ihrer Wahl, und es soll nicht an mir liegen, wenn wir nicht immer gute Freunde bleiben, wie es unserer nahen Verwandtschaft zukommt. Ich kann ohne Bedenken sagen, daß ich Ihnen nichts nachtrage, und gewiß werden Sie zu großmütig sein, um uns in irgendeiner Weise schaden zu wollen. Ihr Bruder hat meine ganze Zuneigung gewonnen, und da wir ohne einander nicht leben konnten, sind wir nun direkt vom Altar zurückgekommen und befinden uns auf dem Wege nach Dawlish, das Ihr lieber Bruder unbedingt sehen möchte und wo wir ein paar Wochen verbringen wollen; doch ich meinte, ich sollte Sie vorher noch mit diesen wenigen Zeilen belästigen – und verbleibe, stets
    Ihre aufrichtige und wohlwollende
    Freundin und Schwägerin,
    Lucy Ferrars
    Ich habe alle Ihre Briefe verbrannt und werde Ihr Bild bei der ersten Gelegenheit zurückschicken. Bitte vernichten Sie auch mein Geschreibsel; aber den Ring mit meinem Haar dürfen Sie sehr gern behalten.
     
    Elinor las den Brief und gab ihn ohne eine Bemerkung zurück.
    »Ich will nicht danach fragen, was du von seinem Stil hältst«, sagte Edward. »Um nichts in der Welt hätte ich dich in früheren Tagen einen Brief von ihr sehen lassen. Für eine Schwägerin ist es schlimm genug, aber für eine Gattin! Wie ich errötete, wenn ich ihre Briefe las, und ich glaube sagen zu |398| können, daß seit dem ersten halben Jahr unserer törichten – Geschichte – dies der einzige Brief von ihr ist, dessen Inhalt mich jemals entschädigt hat für die Unvollkommenheiten des Stils.«
    »Wie es auch immer gekommen sein mag«, sagte Elinor nach einer Pause, »sie sind jedenfalls verheiratet. Und deine Mutter hat sich selbst eine höchst angemessene Strafe erwirkt. Die Unabhängigkeit, die sie Robert aus Groll gegen dich ermöglicht hat, hat ihn in die Lage versetzt, seine eigene Wahl zu treffen; und sie hat in der Tat einen Sohn mit eintausend Pfund im Jahr dazu verleitet, genau das zu tun, was der andere beabsichtigt hatte und wofür er enterbt worden war. Daß Robert Lucy geheiratet hat, wird sie kaum weniger verletzt haben, nehme ich an, als wenn du sie geheiratet hättest.«
    »Es wird sie noch mehr verletzen, denn Robert war immer ihr Liebling. Und gerade weil es sie noch mehr verletzt, wird sie ihm viel eher vergeben.«
    Wie die Sache zur Zeit zwischen ihnen stand, wußte Edward nicht, denn er hatte bisher noch nicht gewagt, sich mit jemandem aus seiner Familie in Verbindung zu setzen. Er hatte Oxford, vierundzwanzig Stunden nachdem er Lucys Brief erhalten hatte, verlassen, und zwar nur mit dem einen Ziel vor Augen, den nächsten Weg nach Barton zu nehmen; und er hatte keine Muße gehabt, einen Plan für sein Verhalten zu machen, der mit dieser Straße nicht aufs engste verbunden war. Er konnte nichts anderes tun, ehe er sich nicht seines Schicksals mit Miss Dashwood versichert hatte; und bei der Schnelligkeit, mit der er
dieses
Schicksal zu finden suchte, ist zu vermuten, daß er trotz der Eifersucht, mit der er einst an Colonel Brandon gedacht hatte – trotz der Bescheidenheit, mit der er seine eigenen Vorzüge einschätzte, und der Artigkeit, mit der er über seine Zweifel sprach, im ganzen gesehen keinen sehr grausamen Empfang erwartete. Aber es gehörte sich zu sagen, daß er es doch tat, und er tat es mit sehr gefälligen Worten. Was er dazu ein Jahr später sagen mochte, dazu muß auf die Vorstellungskraft von Ehegatten verwiesen werden.
    |399| Daß Lucy sie bestimmt hatte täuschen wollen, daß sie ihr mit ihrer Botschaft durch Thomas noch einmal eine rechte Bosheit hatte zufügen wollen, war Elinor vollkommen klar; und Edward selbst, der nun über ihren Charakter gründlich aufgeklärt war, hatte keine Bedenken mehr, sie äußerst niedriger mutwilliger Boshaftigkeit für fähig zu halten.
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