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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl
Autoren: dtv
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sich doch, wie sie es sich wünschte, an ihrem Anblick und ihrer Gesellschaft zu erfreuen.
    Marianne konnte
ihr
Glück nur in Tränen ausdrücken; Vergleiche wollten sich aufdrängen, Bedauern einstellen; und ihre Freude war, wenngleich aufrichtig, wie es ihre Liebe zu ihrer Schwester war, von einer Art, die ihr weder eine freudige Stimmung noch Worte eingab.
    Aber Elinor – wie soll man
ihre
Gefühle beschreiben? Von dem Augenblick, da sie erfahren hatte, daß Lucy mit jemand anders verheiratet war, daß Edward frei war, bis zu dem Moment |395| , da er die Hoffnungen, die sich so unverzüglich eingestellt hatten, gerechtfertigt hatte, war sie von den verschiedensten Gefühlen bewegt und alles andere als heiter. Doch als auch dieser Augenblick vorüber war – als sie sah, daß alle Zweifel, alle Sorgen ausgeräumt waren – als sie ihre Lage damit verglich, wie sie noch so unlängst gewesen war – Edward in Ehren von seiner früheren Verlobung entbunden sah – sah, wie er sich sofort diese Befreiung zunutze machte und um sie selbst warb und ihr seine Liebe erklärte, die so zart, so unwandelbar war, wie sie es immer vermutet hatte   –, war sie bedrückt, war sie überwältigt von ihrer eigenen Glückseligkeit; und so glücklich veranlagt der menschliche Geist auch ist, daß er sich leicht an jede Veränderung zum Besseren gewöhnt, brauchte es doch mehrere Stunden, um Gelassenheit in ihr Gemüt und eine gewisse Ruhe in ihr Herz einziehen zu lassen.
    Edward wurde nun mindestens eine Woche in Barton Cottage festgehalten; denn welche anderen Forderungen an ihn auch gestellt werden mochten, es war unmöglich, daß er seiner Freude an Elinors Gesellschaft weniger als eine Woche widmete oder daß eine kürzere Zeit ausreichen würde, auch nur die Hälfte dessen zu sagen, was über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft zu sagen war; denn obgleich in nur ganz wenigen Stunden, die mit der harten Arbeit pausenlosen Redens zugebracht werden, mehr Themen erledigt werden können, als es wirklich zwischen zwei vernunftbegabten Wesen geben kann, ist es bei Liebenden doch anders. Zwischen
ihnen
ist kein Thema fertig besprochen und auch nichts mitgeteilt worden, wenn es nicht mindestens zwanzigmal wiederholt wird.
    Lucys Heirat, die ihnen allen zu nicht endender und berechtigter Verwunderung gereichte, bildete natürlich eines der ersten Gesprächsthemen der Liebenden; und da Elinor mit beiden Seiten besonders gut vertraut war, war dies für sie in jeder Hinsicht einer der ungewöhnlichsten und unerklärlichsten Fälle, von denen sie je gehört hatte. Wie sie überhaupt zusammengekommen sein konnten und welche Reize |396| Robert dazu hatten verleiten können, ein Mädchen zu heiraten, von dessen Schönheit sie ihn ohne jede Bewunderung hatte sprechen hören – und dazu ein Mädchen, das bereits mit seinem Bruder verlobt war und dessentwegen dieser Bruder von seiner Familie ausgestoßen worden war   –, das herauszufinden überstieg ihr Begriffsvermögen. Für ihr eigenes Herz war es eine wunderbare Sache, für ihre Vorstellungskraft geradezu zum Lachen; doch für ihren Verstand und ihr Urteilsvermögen war es ein absolutes Rätsel.
    Edward konnte nur versuchen, eine Erklärung in der Annahme zu finden, daß vielleicht beim ersten zufälligen Zusammentreffen die Eitelkeit Roberts durch die Schmeicheleien Lucys so bearbeitet worden war, daß dies nach und nach zu allem anderen geführt hatte. Elinor erinnerte sich, daß Robert ihr in Harley Street erklärt hatte, was er seiner Meinung nach durch seine Vermittlung in den Angelegenheiten seines Bruders hätte erreichen können, wenn sie rechtzeitig unternommen worden wäre. Sie erzählte es Edward.
    »Das sieht Robert ähnlich«, bemerkte er sofort. »Und das«, fügte er gleich darauf hinzu, »lag ihm vielleicht im Sinn, als sie sich näher kennenlernten. Lucy hat vielleicht zuerst nur daran gedacht, sich seiner Dienste zu meinen Gunsten zu versichern. Andere Absichten mögen sich später ergeben haben.«
    Wie lange das zwischen den beiden gegangen war, konnte er jedoch ebensowenig herausfinden wie sie; denn in Oxford, wo er sich vorzugsweise aufgehalten hatte, seit er London verlassen hatte, war es ihm nicht möglich gewesen, etwas über sie zu erfahren, außer von ihr selbst, und ihre Briefe waren bis zum letzten Augenblick weder weniger häufig noch weniger liebevoll gewesen als gewöhnlich. Daher war ihm nicht der kleinste Verdacht gekommen, der ihn auf das
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