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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl
Autoren: dtv
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bekommen, wie bald sich eine Gelegenheit ergab, den Entschluß auszuführen, auf welche Weise er sich schließlich erklärte und wie er empfangen wurde, braucht nicht besonders berichtet zu werden. Nur das muß gesagt werden: daß er sich, als sie sich drei Stunden nach seiner Ankunft um vier Uhr alle zu Tisch setzten, seiner Dame versichert und die Zustimmung ihrer Mutter erhalten hatte und daß er nun nicht nur in seinen Bekundungen als stürmischer Liebhaber, sondern auch wirklich und wahrhaftig einer der glücklichsten aller Menschen war. Seine Lage war in der Tat mehr als nur freudig im üblichen Sinne. Er hatte mehr als nur den gewöhnlichen Triumph erwiderter Liebe, um sein Herz schwellen zu lassen und seine Stimmung zu heben. Er |393| war, ohne sich etwas vorwerfen zu müssen, von einer Verpflichtung befreit worden, die ihn lange unglücklich gemacht hatte – von einer Frau, die er lange schon nicht mehr liebte   –, und das hatte ihm sogleich die Liebe einer anderen gesichert, an die er beinahe ohne jede Hoffnung gedacht haben mußte, sobald er begonnen hatte, mit Verlangen an sie zu denken. Er war nicht von Zweifeln oder Ungewißheit, sondern vom Elend zum Glück befördert worden; und diese Veränderung drückte sich in so echter, schwungvoller, dankbarer Heiterkeit aus, wie es seine Freunde niemals zuvor bei ihm erlebt hatten.
    Sein Herz lag nun offen für Elinor – all seine Schwächen, all seine Fehler wurden eingestanden, und seine erste jungenhafte Liebe zu Lucy wurde mit der ganzen philosophischen Würde seiner vierundzwanzig Jahre behandelt.
    »Auf meiner Seite war es eine törichte, oberflächliche Neigung«, sagte er, »die Folge meiner Unkenntnis der Welt und meines Mangels an Beschäftigung. Hätte mich meine Mutter einen Beruf ausüben lassen, als ich mit achtzehn Jahren aus der Obhut Mr.   Pratts entlassen wurde, glaube ich – ja, bin ich sicher, daß es niemals geschehen wäre; denn hätte ich, obgleich ich Longstaple mit einer, wie ich zu der Zeit meinte, ganz unbesiegbaren Neigung für seine Nichte verließ, irgendeine Beschäftigung gehabt, irgendein Ziel, das meine Zeit in Anspruch genommen und mich einige Monate lang von ihr ferngehalten hätte, wäre ich doch sehr bald über diese eingebildete Liebe hinweggekommen, besonders, wenn ich mehr mit Leuten verkehrt hätte, wie ich es in dem Fall hätte tun müssen. Doch statt irgend etwas zu tun zu haben – statt daß man einen Beruf für mich gewählt oder mir gestattet hätte, selbst einen zu wählen, kehrte ich nach Hause zurück, um ein vollkommen müßiges Leben zu führen; und während des ersten Jahres danach hatte ich nicht einmal dem Namen nach eine Beschäftigung, die mir mit der Zugehörigkeit zur Universität gegeben worden wäre, denn ich wurde erst in Oxford immatrikuliert, als ich neunzehn war. Ich hatte deshalb nichts anderes auf der Welt zu tun, als mich verliebt zu |394| glauben; und da mir meine Mutter mein Zuhause auch nicht in jeder Hinsicht angenehm machte, da ich an meinem Bruder keinen Freund, keinen Gefährten hatte und neue Bekanntschaften nicht mochte, war es ganz natürlich für mich, daß ich sehr oft in Longstaple war, wo ich mich stets zu Hause fühlte und wo ich immer willkommen war; somit verbrachte ich zwischen meinem achtzehnten und neunzehnten Jahr den größten Teil meiner Zeit dort. Lucy erschien mir äußerst liebenswürdig und gefällig. Sie war auch hübsch, zumindest glaubte ich es
damals
; und ich hatte so wenig von anderen Frauen gesehen, daß ich keine Vergleiche anstellen und keine Fehler entdecken konnte. Wenn man das alles bedenkt, hoffe ich daher, daß unsere Verlobung, so töricht sie auch war, so töricht sie sich seitdem in jeder Hinsicht herausgestellt hat, zu der Zeit keine unnatürliche oder unentschuldbare Dummheit war.«
    Die Veränderung, die nur wenige Stunden in den Gedanken und dem Glück der Dashwoods hervorgerufen hatten, war derart – war so groß   –, daß sie allen die Befriedigung einer schlaflosen Nacht versprach. Mrs.   Dashwood, die zu glücklich war, um zur Ruhe zu kommen, wußte nicht, wie sie sich genugtun konnte in ihrer mütterlichen Liebe zu Edward, der Glücklichpreisung Elinors und wie sie ihrer Dankbarkeit für Edwards wiedergewonnene Freiheit gebührend Ausdruck verleihen sollte, ohne sein Zartgefühl zu verletzen; auch wußte sie nicht, wie sie gleichzeitig den beiden sofort Gelegenheit geben konnte zu einer ungezwungenen Unterhaltung miteinander und
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