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Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben
Autoren: Else Buschheuer
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hinstellt, gelingt ihm ein selbstbestimmter Tod.
    Wehe, man möchte dem säuerlichen Pflegeheim entgehen, wehe, man entscheidet sich dagegen, langsam und jämmerlich dahinzusiechen. Oder man will einfach nicht mehr. Keine Krankenkasse, kein Arzt hilft. Sagen Sie nicht »Patientenverfügung«. Die sollte man haben, aber die regelt nur den alleräußersten Fall. Mir geht es um den Moment, in dem man noch sprechen kann, in dem man in der Lage ist, zu sagen: »Ich möchte nicht mehr leben.« Was dann?
    »Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und ich werde auch niemanden dabei beraten.« Hippokrates, was haben Sie uns angetan? Waren Sie berauscht, als Sie Ihren Eid ersannen? Und Sie, meine Damen, meine Herren, die Sie heute die ethischen Richtlinien zum unbedingten Weiterleben vertreten: Was geht Sie mein Tod an? Ihren eigenen können Sie gern regeln, wie Sie wollen. Und sind Sie sich Ihrer Sache ganz sicher? Sie sind vielleicht derzeit noch gut in Schuss? Sie stehen vielleicht noch nicht auf der Kippe, sind noch im Vollbesitz Ihrer geistigen und körperlichen Kräfte? Das muss nicht so bleiben. Oder vielleicht kennen Sie jemanden, der Ihnen unterm Ladentisch ein paar Gramm Natrium-Pentobarbital verkauft, wenn es so weit ist? Ich kenne keinen.
    Tiere werden eingeschläfert, damit sie nicht leiden müssen. Und wir? Müssen wir uns wirklich an Krawatten aufknüpfen, müssen wir es Hemingway und Gunter Sachs gleichtun und uns in die Köpfe schießen, dass sie platzen? Müssen wir uns vor Züge werfen, von Hochhäusern und Brücken springen, müssen wir zu Sterbetouristen werden, uns hinkarren lassen auf einen Schweizer Parkplatz, nur weil wir nicht unter jeder Bedingung weiterleben möchten? Wo bleibt hier der erste Paragraph des Grundgesetzes? Mit welchem Recht will einBischof oder ein Abgeordneter über die Modalitäten meines Ablebens bestimmen? Warum soll ein Arzt mich beatmen, elektroschocken, operieren, zwangsernähren lassen, auf jedwede Art am Leben erhalten, wenn ich nicht mehr leben will? Warum kann er mir nicht beim Sterben helfen? Warum muss er sich von den Funktionären seiner Berufsgenossenschaft vorschreiben lassen, was er darf und was nicht? Warum ist eine Krankenschwester, die aktive Sterbehilfe leistet, immer gleich ein »Todesengel«? Warum wird ein Sterbewilliger in die Illegalität, in die Unwürde getrieben?
    Selbstbestimmung wird bei uns ganz groß geschrieben, sie ist das Kernstück der Menschenwürde, wie eine Monstranz tragen wir sie vor uns her, aber wenn es ans Sterben geht, dann gilt das plötzlich nicht mehr, dann wollen andere über uns bestimmen. Unsere Gesellschaft ist überaltert, das Problem wird größer. Helft doch denen sterben, die ihr Leben beenden wollen. Gebt ihnen einen wohlschmeckenden, bunten Cocktail. Das muss nicht die Kasse übernehmen, das zahlen wir gern selbst. Schafft ein Gesetz, das uns das selbstbestimmte Sterben möglich macht. Keine Sorge, es werden genug übrig bleiben.

25. Endlich!
    »Auf einem Seemannsgrab, da blühen keine Rosen.«
    Ronny

Technisch gesehen, beginnt der Mensch mit Mitte 20 zu sterben, ganz langsam, Zelle für Zelle. Das Leben ist endlich, irgendwann ist Schicht im Schacht. Und mit dem Sterben ist es wie im Werbeslogan der Eisfirma Ben & Jerry’s: »Wer einmal den Löffel abgibt, bekommt ihn nicht mehr wieder.« Irgendwann sind auch wir Menschen Müll – organischer übrigens, wenn man von nachgerüsteten Einzelteilen absieht. Aber jeder Enkel, der seine Oma fragt, ob sie lieber verbrannt oder seebestattet werden will, gilt als taktlos. Warum eigentlich? Warum soll man nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden? Es gibt so viele Tabus. Wir können in unseren Breiten einen Toten nicht einfach aufessen oder ausstopfen lassen. Auch nicht, wenn es aus Liebe geschieht. Wir dürfen ihn nicht im heimischen Kohlrabibeet verbuddeln, nein, im Gegenteil, wir finden Bräuche wie diese verachtenswert. Stattdessen schaffen wir sterbliche Überreste auf eine Art Schrottplatz, wuchten sie in einen teuren Kasten, schippen zentnerweise Erde drauf und stellen auf den Toten, den wir nicht wagen, einen Toten zu nennen, den wir »den Verblichenen«, »den Verstorbenen«, »den Heimgegangenen« nennen, nur um nicht TOT zu sagen, einen möglichst schweren Grabstein. Man kann nicht einfach verfügen, nach seinem Tode kompostiert zu werden, keine Witwe darf sich ihren toten Mann als Urne in die Schrankwand
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