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Verrückt bleiben

Verrückt bleiben

Titel: Verrückt bleiben
Autoren: Else Buschheuer
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stellen, und Plastination, die Art von Ewigkeit, die Gunther von Hagens betreibt, gilt eher als grausige Art des postmortalen Fortbestands.
    Auf der Insel Lyr in Schweden arbeitet die Biologin Susanne Wiigh-Mäsak seit vielen Jahren an einem Verfahren, Menschennach dem Tod zu kompostieren. Beerdigungen, sagt sie, seien schlecht für das Grundwasser, Kremierungen schlecht für die Luft. Wie also kann der liturgische Spruch »Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub« umgesetzt, wie kann der Tote der Natur möglichst sinnvoll zurückgegeben werden? Man muss ihn kleiner machen, sagt Mäsak, und ihm Erde beimischen, ohne die Gefühle der Hinterbliebenen zu verletzen. Sie erfand den Promator, dessen Patent in 36 Länder verkauft wurde und der demnächst in Serie gehen soll. Im ersten Modul des Promators wird die Leiche auf 200 Grad Celsius minus heruntergekühlt und zerfällt in kleine Eisstücke, das zweite Modul ist eine Art Gefriertrockner, der die Feuchtigkeit herauszieht und aus den Eisstücken Instantkörner macht. Im dritten Modul werden Metallreste entfernt, im letzten Arbeitsschritt werden die Überreste in einen Sarg aus Stärke gefüllt, der dann 50 Zentimeter tief in Humusboden vergraben wird. Schon nach einem Jahr wäre der Mensch ökologisch einwandfrei recycelt. Gewöhnungsbedürftig, aber ziemlich genial.
    In Amerika kann man seine Asche jetzt für 1 250 Dollar in Patronen füllen und mit 250 Schuss in die Luft ballern lassen. Wer Pazifist ist oder mehr anlegen will, kann sich nach seinem Tod in Vakuum-Isoliergeräten mit flüssigem Stickstoff aufbewahren lassen, eisgekühlt, in der Hoffnung, eines Tages, wenn die Medizin so weit ist, eine Wiedergeburt zu erleben. Die Sache gilt als wenig erfolgversprechend, aber der Traum vom ewigen Leben ist so alt wie die Menschheit selbst, Verzweiflungstaten inbegriffen.
    Meine erste Leiche habe ich mit 35 Jahren gesehen. Es war meine Großmutter, die sich in den Kopf gesetzt hatte, an ihrem 90. Geburtstag zu sterben. Ich war gerade auf dem Weg zu ihrer Geburtstagsfeier gewesen, als ich die Nachricht erhielt. Ich rief im Krankenhaus an. Sie war »schon weg«. Ich rief beim Bestatter an und sagte, ich wolle meine Großmutter sehen. Das koste 250 Mark, hieß es, mit Feiertagszuschlag, denn essei Pfingstsonntag und man müsse die Tote schließlich herrichten. Ich wusste zu wenig über den Tod, um zu ahnen, was es da herzurichten gab. Aber es kam mir später vor, als habe sie Make-up im Gesicht.
    Sie sah friedlich aus, abgekämpft und ein bisschen fremd, der Ausdruck um ihren Mund war neu. Er war fest verschlossen und wirkte trotzig, fast ein bisschen böse. Vielleicht war sie mir böse gewesen, weil ich nicht bei ihr war? Ganz allein war meine Omi gestorben in jener Nacht vor ihrem 90. Geburtstag, im Krankenhaus in Eilenburg. Ich wollte sie gern berühren, aber es ging nicht, sie lag hinter Glas wie Schneewittchen. Ich hatte den Impuls, sie zu fotografieren, aber ich brachte es nicht fertig, es erschien mir unpassend, meine Kamera herauszuholen.
    Meine andere Großmutter starb, als ich in New York lebte. Ich ging gerade durch ein Greencard-Verfahren (das wenig später scheitern sollte), die Homeland Security gab mir keine Ausreisegenehmigung. Erst im Todesfall, hieß es, erst mit Totenschein. Aber was hilft es dem Toten, wenn er allein gestorben ist und sich nachher alle in Schwarz an seinem Grab versammeln?
    2003 reiste ich nach Varanasi, wo die toten Hindus am Ufer des Ganges verbrannt werden, damit ihre Seele für immer gereinigt ist. Varanasi ist überhaupt eine der faszinierendsten Städte, die ich jemals sah. Es gibt kein Bild in meinem Kopf, das Leben und Tod so gut verbindet wie ein Touristenboot auf dem Ganges, an dem, mit dem Bauch nach oben, eine aufgeblähte tote heilige Kuh vorbeizieht, kein stärkeres Bild als die Bollywood-Songs singenden Tänzerinnen auf einer religiösen Feier, direkt neben den brennenden Scheiterhaufen der Hindus. Die ganze Altstadt ist in eine Mischung aus Barbecue und Räucherstäbchen gehüllt, die Rituale beinhalten alles, Trauer und Fröhlichkeit. Auch die kleinen Jungen, die Leichentücher klauen und meistbietend weiterverhökern, auch der Hund, der den abgefallenen Fuß einer brennenden Leiche stibitzt,gehören zum Bild. Varanasi ist kein guter Ort für Menschen mit schwachen Nerven, aber der beste, um sich mit dem eigenen Bild vom Tod auseinanderzusetzen. Ich bin nicht mein Körper, sagen die Hindus. Ich fahre in meinem
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