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Verräterherz (German Edition)

Verräterherz (German Edition)

Titel: Verräterherz (German Edition)
Autoren: Hanna Julian
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nachdem Madame Morlet nicht mehr existierte. Doch vielleicht liegt die Antwort für dich ohnehin schon auf der Hand.
    Das Übel liegt in der Struktur meiner Gesellschaft – in ihrer Verachtung Vampiren gegenüber, die früher Menschen waren. Nachdem einmal zur Jagd auf mich geblasen war, gab es offenbar kein Zurück mehr. Ich musste begreifen, dass ich ewig ein Flüchtling sein würde, der sich in den Schatten versteckt, wie ein widerlicher Käfer, der sonst von einem Schuh einfach zermalmt wird - egal, wie unschuldig er eigentlich ist.
    Nur mit großer Mühe gelang es mir, meinen Verfolgern überhaupt zu entkommen, denn sie versuchten mich einzukreisen, und es waren so viele, dass ich innerlich schon aufgegeben hatte. Doch dann fand ich einen Ausweg und rannte, bis ich selbst nicht mehr wusste, wer und wo ich war. Kennst du diesen Zustand? Ich spreche nicht von körperlicher Erschöpfung, denn die erfahre ich nicht. Ich spreche von einer geistigen Erschöpfung, und meine hat ein solches Ausmaß erreicht, dass mir zuletzt nur ein einziger Weg einfiel, um mir eine Chance auf Rettung zu ermöglichen.
    Und dieser Weg bist du.
    Obwohl das so nicht ganz korrekt ist. Denn nur wenn du mir hilfst, so viele Menschen wie möglich zu erreichen, die meine Geschichte kennen, kann ich vielleicht darauf hoffen, dass auch einige Vampire darunter sind, die mir Glauben schenken. Ich kann es nicht selbst tun, aus den genannten Gründen. Ich bin in ihren Augen ein verabscheuungswürdiger Verbrecher und kein schützenswerter Teil der Vampirgesellschaft mehr. Man würde mich nicht ernst nehmen – ja, mir nicht einmal zuhören!
    Aber wenn du der Vermittler wärst und meine Geschichte in die Welt hinausträgst, dann hätte ich vielleicht die Chance, dass ich dem ungerechtfertigten Zorn der Vampirgemeinschaft entgehe. Denn eines steht fest ... nach dem Tod von Madame Morlet ist der Hass auf mich nur umso mehr gewachsen. Man sucht einen Sündenbock, und der bin ich.
    Aber habe ich nicht das Recht, endlich in Ruhe das mir aufgezwungene Dasein leben zu dürfen?
    Ich wählte mit Absicht das Wort leben! Denn eines ist mir klar geworden: Auch wenn ich nicht über ein schlagendes Herz verfüge und mein Atem nur zur Tarnung dient, so habe ich doch zuvor eine Art von Leben geführt – aber seit ich verfolgt werde, habe ich kein Leben mehr! Ich möchte nichts weiter, als einfach nur in Ruhe gelassen zu werden.
    Ja, ich werde weiterhin als Vampir töten, wenn du mir hilfst. Ist es das, was dich davon abhält? Ist es die Beunruhigung, dass du selbst eines Tages mein Opfer sein könntest, dem ich das Blut aus den Adern sauge?
    Lass mich ehrlich zu dir sein, denn das war ich stets.
    Ja, du könntest es sein. Aber bist du auch dafür, dass man alle Autos abschafft, nur weil es möglich wäre, dass du eines Tages unter eins gerätst? Das Leben steckt voller Gefahren, nicht wahr? Ich könnte versuchen, Blut auf andere Weise zu bekommen, wie es so oft in euren Geschichten auftaucht. Aber ich muss dir gestehen, dass ich als Vampir mit menschlicher Abstammung dazu nicht in der Lage bin. Wie ich dir eingangs schon erklärte, gehöre ich im Grunde immer noch zu den jungen Wilden unserer Rasse.
    Es liegt nun also an dir, ob du meine Geschichte weiterverbreitest und dafür sorgst, dass die Menschheit die Wahrheit über mich und mein Volk erfährt, und ob du damit zugleich dafür sorgst, dass meine Rasse sich vielleicht sogar etwas zurücknimmt. Wenn alle sich nach der Uhr richten würden, wie ich es tue, wären viele Menschenleben gerettet. In gewisser Weise könnte ich also tatsächlich auch ein Vorbild für meinesgleichen sein.
    Wenn du aber lieber so tun willst, als wäre ich nichts weiter als ein lästiger Nachbar, dem du im Hausflur begegnet bist, und der dich nicht mehr interessiert, sobald er wieder hinter seiner Wohnungstür verschwindet, dann war alles vergebens. Dann habe ich meine Seele umsonst nach außen gekehrt, dir von meiner Schmach erzählt, von meinen Ängsten ... und ich war vergeblich ehrlich zu dir.
    Es liegt allein an dir, was du mit meiner Geschichte machst.

    ~ღ~

    Ich beende nun meine Aufzeichnungen, aber ich sitze hier und warte auf deine Entscheidung. Ich warte, dass sich irgendetwas an meiner Situation ändert. Ich warte darauf, dass die Zeiger meiner Uhr voranschreiten, Schritt für Schritt, wie sie es für uns alle tun, egal, ob sterblicher Mensch oder Vampir.

    ~Ende~

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