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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen
Autoren: Nora Roberts
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seine Mutter betrogen hat?«
    »Nein, aber unser Mann gehört nicht zu der Sorte von Massenmördern, von der du sprichst.« Hier war sie auf ihrem eigenen Terrain und kannte sich aus. »Er tötet nicht wahllos und ohne Motiv. Ein mißhandeltes Kind kann später ebensogut Bankdirektor wie Psychotiker werden.
    Und ich glaube auch nicht an schlechte Erbanlagen. Wir sprechen hier über eine Krankheit, Ben, etwas, das, wie immer mehr Ärzte annehmen, von einer chemischen Reaktion im Gehirn hervorgerufen wird, wodurch die Fähigkeit zu vernünftigem Denken zerstört wird. Seit der Zeit, da man glaubte, Geisteskranke seien von einem Dämon besessen, haben wir einige Fortschritte gemacht, obwohl man noch vor sechzig Jahren Schizophrenie behandelte, indem man den Kranken die Zähne zog. Dann versuchte man es mit der Injektion von Pferdeserum und mit Einläufen. Und im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts suchen wir immer noch nach einer Therapie.
    Was auch immer seine Psychose ausgelöst haben mag, er braucht jedenfalls Hilfe. So wie Josh sie brauchte. So wie Joey sie brauchte.«
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    »Nicht in den ersten vierundzwanzig Stunden«, sagte er kategorisch. »Und erst, wenn aller Papierkram erledigt ist.
    Vielleicht will er auch gar nicht mit dir sprechen.«
    »Daran habe ich auch schon gedacht, aber ich glaube, er wird es wollen.«
    »Das alles ist sowieso erst dann von Belang, wenn wir ihn geschnappt haben.«
    Als es an der Tür klopfte, griff Ben langsam nach seiner Waffe. Sein Arm war zwar noch steif, aber er konnte ihn benutzen und ohne Schwierigkeiten seine Dienstwaffe in der Hand halten. Er ging zur Tür und stellte sich neben sie.
    »Frag, wer da ist.« Als sie auf die Tür zugehen wollte, hob er die Hand. »Nein, von da drüben. Du darfst dich nicht vor die Tür stellen.« Obwohl er bezweifelte, daß statt eines Humerales eine Schußwaffe benutzt werden würde, wollte er kein Risiko eingehen.
    »Wer ist da?«
    »Detective Pilomento, gnädige Frau.«
    Ben erkannte die Stimme und wandte sich zur Tür, um sie zu Öffnen.
    »Paris.« Bevor er eintrat, klopfte sich Pilomento den Schnee von den Schuhen. »Die Straßen sind noch immer in einem schlimmen Zustand. Wir haben ungefähr fünfzehn Zentimeter Schnee. Morgen, Dr. Court.«
    »Guten Morgen. Geben Sie mir Ihren Mantel.«
    »Danke. Eisig kalt draußen«, sagte er zu Ben.
    »Mullendore hat vor dem Haus Stellung bezogen.
    Hoffentlich hat er lange Unterhosen an.«
    »Mach’s dir vor dem Fernseher nicht allzu gemütlich.«
    Ben warf einen letzten Blick in die Runde, während er nach seinem Mantel langte. Es gab nur einen Eingang, und Pilomento würde nie mehr als etwa sieben Meter von ihr 424
    entfernt sein. Trotzdem fröstelte ihn, auch als er sich in seinen Mantel hüllte. »Ich werde mich in regelmäßigen Abständen mit den Überwachungsteams in Verbindung setzen. Sag mal, warum gehst du nicht in die Küche und holst dir einen Kaffee?«
    »Danke, aber ich hab’ auf dem Weg hierher schon einen im Auto getrunken.«
    »Dann trink noch einen.«
    »Oh.« Er blickte von Ben zu Tess. »Ja, klar.« Durch die Zähne pfeifend zog er ab.
    »Das war zwar grob, aber das macht nichts.« Leise lachend schlang Tess die Arme um Bens Taille. »Sei vorsichtig.«
    »Bin ich immer. Solltest du dir auch angewöhnen.«
    Er zog sie an sich und küßte sie lange und ausdauernd.
    »Bleibst du auf, bis ich zurückkomme, Frau Doktor?«
    »Darauf kannst du dich verlassen. Du rufst doch an, falls
    … nun ja, falls irgend etwas passiert?«
    »Darauf kannst du dich verlassen.« Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und hielt es einen Moment fest. Dann drückte er ihr einen Kuß auf die Stirn. »Du bist einfach wunderschön.« Der überraschte Ausdruck in ihren Augen brachte ihm zu Bewußtsein, daß er bei ihr auf all die cleveren und flotten Komplimente verzichtet hatte, die er Frauen sonst immer machte. Diese Erkenntnis brachte ihn ziemlich aus der Fassung. Um seine Verwirrung zu überspielen, schob er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und wandte sich zum Gehen. »Schließ die Tür ab.«
    Er zog die Tür hinter sich zu und wünschte, das unbehagliche Gefühl, daß nicht alles so glatt wie geplant verlaufen würde, loswerden zu können.

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    Stunden später saß er zusammengekauert in seinem Mustang und beobachtete Tess’ Apartmenthaus. Zwei Kinder gaben gerade einem kunstvollen Schneemann den letzten Schliff. Ben überlegte, ob ihr Vater wohl wußte, daß sie seinen Filzhut geklaut hatten.
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