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Veritas

Titel: Veritas
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Fragen im Kopfe wieder verließen.

    Wir waren nicht wenig erstaunt, als die Kutsche mit Cloridia, Simonis, dem Notar und mir das Zentrum Wiens zu verlassen begann. Alsbald gelangte sie zu den Umfriedungsmauern und fuhr durch eines der Tore auf eine froststarrende Ebene vor der Stadt hinaus.
    Während der Fahrt kauerte meine Frau sich wegen der Kälte in einer Ecke zusammen, und Simonis sah mit ausdruckslosem Blick aus dem Fenster. Grübelnd betrachtete ich den Notar. Er schien es eilig zu haben; was er vorhatte, war freilich nicht zu ergründen. Ganz offensichtlich waren die zwei Dokumente, die er mir bis jetzt vorgelegt hatte, Fälschungen nach allen Regeln der Kunst und stammten vom Abbé Melani. Atto – ich erinnerte mich gut – war geübt im Fälschen von Papieren, auch solchen von weit größerer Bedeutung als diesen … Zugegeben, hier waren seine Absichten weniger verdammenswert: Er wollte nur die Schenkung wirksam machen.

    Der Notar erwiderte meinen Blick: «Oh, ich weiß, was Ihr Euch fragt, und bitte um Vergebung, dass ich nicht früher daran gedacht habe. Es ist nun an der Zeit, dass ich Euch erkläre, wohin wir fahren.»
    «Na endlich», dachte ich, und Cloridia, die schlagartig wieder zu sich gekommen war, verwandte ihre verbliebenen Kräfte darauf, sich auf dem Sitz aufzurichten, um zu vernehmen, was der Notar uns sogleich sagen würde.
    «Vornehmlich dürfte es konvenieren, wenn ich Eure Gemahlin ein wenig von den Beschwernissen der Fahrt erlöse, indem ich ihr ein Bild von der äußeren Erscheinung und vom Wesen der Hauptstadt des Reiches gebe», hub der Notar pompös an, der offensichtlich sehr stolz auf seine Heimat war. «Vor dem Mauerring, und diesen zur Gänze umgebend, befindet sich eine große freie Fläche aus geebnetem Boden ohne jeden Bewuchs, welche im Falle eines feindlichen Angriffs gestattet, die Belagerungstruppen zu beschießen. Östlich der Stadt verläuft der Donaufluss, welcher in seinen Windungen von Norden nach Süden und von Westen und Osten strömt, wobei er zahlreiche Inselchen, Moraste und Sümpfe bildet. Noch weiter östlich beginnt hinter jenem feuchten, lagunenartigen Gebiete die weite Ebene, welche ohne Unterbrechung bis zum Königreich Polen und zum Reich des Zaren von Russland sich erstreckt. Item dehnt sich im Süden ein flacher Landstrich aus, selbiger führt bis nach Kärnten, jener Region, so an Italien grenzt, dahero auch Ihr selbst gekommen. Im Westen und im Norden hingegen wird die Stadt von bewaldeten Höhen umgeben, deren höchste der Kahlenberg ist, der fernste Ausläufer der Alpen, steil gegenüber der Donau aufragend, das Bollwerk des Abendlandes, das auf die weite östliche Ebene Pannoniens blickt.»

    Liebenswürdig war die Rede des Notars, allein Cloridias Gesicht verfinsterte sich zunehmend, und auch ich mutmaßte mit immer mehr Bangen über die Größe und Art der Schenkung. Wenn dieser wunderliche Notar sich doch nur endlich entschlösse, uns zu verraten, worin sie bestand!
    «Ich weiß, woran Ihr denkt», sagte er in diesem Moment, die orographische Lektion über Wien unterbrechend, und richtete das Wort an mich: «Ihr fragt Euch, welcher Natur die Schenkung Eures Wohltäters genauerhin sein mag und von welchem Werte sie sei. Nun gut: Wie Ihr selbst in der Hofbefreyung lesen könnt», erläuterte er, indem er mir mit äußerster Behutsamkeit eines der Dokumente vorlegte, «hat der Abbé Melani Euch mit Sitz in der Josephina, der Vorstadt bei der Michaelerkirchen, dahin wir uns justament begeben, ein Amt als Hofbefreyter Meister verschafft.»
    «Was bedeutet das?», fragten Cloridia und ich gleichzeitig.
    «Das ist doch sonnenklar: hofbefreit. Mit Erlaubnis des Hofes oder, wenn man so will, durch Kaiserliches Dekret, seid Ihr frei, Meister zu werden.»
    Wir sahen ihn fragend an.
    «Solches ist vonnöten, weil Ihr kein Bürger Wiens seid», erläuterte der Notar weiter. «Da der Kaiser Eurer Dienste dringlich, ja in äußerstem Maße dringlich bedarf, hat Euer Wohltäter großzügigerweise bei Hof ein Gewerbsprivilegium für Euch erbeten und erhalten», schloss er, ohne zu gewahren, dass er die wichtigste Frage noch nicht beantwortet hatte.
    «Ja, und?», drängte Cloridia mit skeptischer Hoffnung angesichts der unerwarteten Worte des Notars.
    «Das Recht, jenes Gewerbe auszuüben, selbstredend! Und mithin auch in die Innung aufgenommen zu werden», explizierte der Notar ungeduldig und betrachtete uns, als wären wir zwei Wilde, die seiner
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