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Veritas

Titel: Veritas
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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hinter kleinen Augengläsern blinzelnd, in seiner Kanzlei willkommen hieß, ließ leider nicht erkennen, ob er als Feststellung oder als Frage gemeint war.
    Wir waren angekommen, nachdem wir einen kurzen Weg zu Fuß durch den Schnee zurückgelegt hatten, bei dem uns allerdings die Glieder über die Maßen steif wurden. Der schreckliche Winter des Jahres 1709, der meine Familie und ganz Rom in die Knie gezwungen hatte, war nichts im Vergleich zu dieser Kälte, und ich erkannte jetzt, dass die schweren Pelerinen, die wir vor der Abreise erstanden hatten, uns hier nicht besser schützten als eine Zwiebelschale. Cloridia wurde von Hustenanfällen gepeinigt.
    «O ja, nicht wahr», wiederholte der Notar mehrmals, der uns, nachdem wir die Pelerinen abgelegt, auch zum Ausziehen der Schuhe genötigt und sodann aufgefordert hatte, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Simonis war im Vorzimmer geblieben, um dort auf uns zu warten.
    Während wir die Wärme des großen, prächtigen Ofens aus majolikaverziertem Gusseisen genossen, wie ich dergleichen noch nie gesehen, schickte er sich an, eine Akte zu durchblättern, die eine Aufschrift in Fraktur trug.
    Gespannt beobachteten Cloridia und ich, wie seine Finger sich eilig zwischen dem Papier bewegten. Meine arme Frau legte sich eine Hand an die Schläfe: Ich begriff, dass bei ihr nun wieder jenes entsetzliche Hauptweh ausbrach, das sie quälte, seit wir im Elend lebten. Welche Nachricht mochten diese Blätter bergen? Stand dort das Ende unserer Nöte oder wieder nur ein böser Streich geschrieben? Ich spürte, wie mein Magen vor ängstlicher Sorge in Wallung geriet.
    «Die Dokumente sind vollständig: Geburths-Brief, Kauff-Contract und vor allem die Hofbefreyung », sagte der Notar endlich halb auf Italienisch, halb auf Deutsch. «Wenn die Herrschaften bittschön kontrollieren wollen, ob die Daten korrekt sind», fügte er hinzu, während er mir die Dokumente vorlegte, deren Bedeutung ich freilich noch nicht erfasst hatte. «Der Signor Abbé Milani, Euer Wohltäter …»
    «Melani», verbesserte ich ihn, wohl wissend, dass Attos Unterschrift gelegentlich Anlass zu solcherart Missverständnissen gab.
    «Aha, richtig», sagte er, nachdem er ein Blatt aufmerksam studiert hatte. «Wie ich schon sagte: Der Signor Abbé Melani und seine Bevollmächtigten haben sich größter Sorgfalt und Genauigkeit befleißigt. Aber der Hof ist äußerst streng: Es muss alles seine Ordnung haben.»
    «Der Hof?», fragte ich hoffnungsvoll.
    «Wenn der Hof Euch ablehnt, kann die Schenkung nicht wirksam werden», setzte der Notar hinzu, «doch lest nun diesen Geburths - Brief und sagt mir, ob alle Angaben stimmen.»
    Mit diesen Worten legte er mir das erste der vier Dokumente vor, das sich zu meiner nicht geringen Überraschung als eine Geburtsurkunde auf meinen Namen entpuppte, die Tag, Monat, Jahr und Ort, ja sogar Vater und Mutter verzeichnete. Das war nun wirklich eigenartig, da ich, ein Waisenkind, selber nicht wusste, wann, wo und von wem ich geboren worden war.
    «Dies hier ist der Gesellenbrief», drängte unser Gesprächspartner, der, nachdem er aus dem Fenster geschaut hatte, plötzlich große Eile zu haben schien. «Der Hof ist überaus streng, ich sage es noch einmal. Besonders was Eure Qualifikationen betrifft; widrigenfalls könnte die Innung Euch Schwierigkeiten machen.»
    «Die Innung?», fragte ich und hatte nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach.
    «Jetzt wollen wir fortfahren, denn die Zeit drängt. Fragen mögt Ihr mir hernach stellen.»
    Ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich noch nicht verstanden hatte, welchem Zwecke all diese, zumal gefälschten, Dokumente dienten. Vor allem aber erklärte die Rede des Notars nicht, worin Atto Melanis Schenkung eigentlich bestand. Doch ich gehorchte und enthielt mich weiterer Einwürfe. Auch Cloridia schwieg, den Blick von Kopfweh und Lungensucht verhangen.
    «Die Hofbefreyung hingegen ist weniger pressant: Ich persönlich kann für ihre Gültigkeit garantieren. Da die Zeit knapp wird, könnt Ihr sie in der Kutsche in Augenschein nehmen.»
    «In der Kutsche?», wunderte sich Cloridia. «Wohin fahren wir?»
    «Die Richtigkeit dessen zu überprüfen, was der Kauff-Contract enthält, ei, wohin denn sonst?», antwortete jener, als wäre dies selbstverständlich, derweil er sich erhob und uns aufforderte, ihm zu folgen.
    So geschah es, dass wir, nachdem wir die Kanzlei des Notars mit tausend Hoffnungen im Herzen betreten hatten, sie nun mit ebenso vielen
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