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Verirrt in den Zeiten

Verirrt in den Zeiten

Titel: Verirrt in den Zeiten
Autoren: Oswald Levett
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hastig zu: »Sagt nicht, daß Ihr aus der Zukunft
stammet. So Ihr das saget, ist’s um Euch geschehen. Ihr
seid geboren anno sechzehnhundert zu Haarleem als meiner
Muhme Sohn. Merkt Euch’s. Bis zu den Staaten ist es weit,
und feindliche Heere stehn dazwischen. Dazu noch Eure
fremde Mundart. Man wird Euch’s glauben. Und ich will es
bezeugen.«
    Der Großmütige. So lohnt er mir, daß ich ihm die Braut
entrissen, daß ich ihm gestern nach dem Leben stellte. Das soll
ihm nicht vergessen werden.
    Doch ich achte kaum auf seine Worte. Ich blicke hinunter
auf die Gasse, auf die Menge, auf die vorbeiziehenden Reiter.
Unklar schwirrt mir’s durch den Sinn: Ferdinand der Zweite,
in der Burg zu Wien, bedrängt von seinen Ständen. Ferdinandule,
non subscribes? Da reiten mit klingendem Spiele Dampierres
Dragoner durch den Burghof, und die Aufrührer fliehen.
    Musik, Verheißung, Freude, Rettung!
    Und in das aufwühlende Pfeifenschrillen, in die Fanfaren
der Trompeten, in das Geklirre und Gewimmel tönte mir eine
andre Melodie. Ein andrer Marsch, der eine andre Kriegerschar
begleitet, jenes alla marcia der Neunten Symphonie, da
uns der Herzschlag stockt in süßem Schrecken, um die frohe
Botschaft zu vernehmen, da sie herangedonnert kommen, die
Himmelslegionen, da sie uns nahen, die Künder aller unsagbaren
Hoffnung, die Herolde der Seligkeit. Und Hufgetrappel,
Pallaschklirren, Trommelwirbel, Pfeifenschrillen und die
Musik in meinem Herzen vereinigt sich zu einer wilden Vision,
aus der es mir entgegenkeucht von Qual und Jammer,
Blut und Tränen, aus der es mir entgegenlächelt wie endliche
Erlösung, wie ferne Seligkeit.
    Vorbei ist das Getümmel, stille war’s und Ruhe auf den
Gassen.
    Nüchternes Schweigen herrscht im Saale. Sie setzen sich an
ihre Plätze und hüllen sich aufs neue, gleichsam fröstelnd, in
ihre Amtsmienen.
    »Wann Er geboren, will ich wissen, und wo?« fragte mich
der Inquirent mit harter Stimme.
    Als ich gleichmütig erwiderte, ich sei geboren im Jahre
1878, als sie losfuhren mit derbem, boshaftem Gelächter, da
sagte ich ihnen alles, erzählte, aus welcher Welt ich stamme,
schilderte, gepeitscht von namenloser Sehnsucht, alle Schönheit,
alle Größe meiner Zeit.
    Lautlose Stille herrschte. Verschwunden waren sie, die
Amtsgesichter, gläubige Kinder lauschten einem Märchen,
und aus ihrem Antlitz strahlte das Leuchten unsterblicher
Hoffnung.
    Noch lange, als ich schon geendigt hatte, dauerte das entrückte
Schweigen. Dann sahen sie einander an, erröteten verwirrt,
beschämt.
    Altmannstetter brach die Stille, heiser, mit gezwungnem
Spotte, indessen er verstohlen mit meinem Taschenstifte
spielte.
    »Vir dicax ac jocosus. 7 ) Jetzo agieret er den Narren, damit
er der Tortur entrinne.«
    »Wir wöll’n ihm schon«, so fiel der Knieperode giftig ein,
noch immer die Röte der Verlegenheit auf dem Gesichte, »wir
wöll’n ihm schon seine speilzahnige Loquazität benehmen. Im
spanischen Reiter, da tun sie gemeiniglich weniger perorieren
und desto mehr die Wahrheit eingestehn.«
    »Saget doch« — so meldete sich Matthäus Büttgemeister —,
»wenn all dies wahr ist, dann muß Euch ja unsre Zukunft offenbar
sein. Erzählet uns doch etwas von den weitern Kriegsbegebnissen.
Wann wird sie sein, die nächste größere Impresa 8 ) ,
und wo und welches ihr Sukzeß?«
    7)   Ein gesprächiger und spaßhafter Herr.
    8)   Kriegsunternehmung, Schlacht.
    »Gewiß weiß ich das: am sechzehnten November bei Lützen.
Die Schweden werden siegen. Doch wird ihr König fallen.«
    Als sich die Bestürzung legte, sagte Büttgemeister schüchternen
Tones: »So halte ich denn dafür, daß dieses responsum
ad protocollum notetur 9 ) und daß wir mit dem fürderen processu
bis zu bemeldtem dato innehalten. Sind so nur etzliche
Wochen. Trifft die Prophezeiung ein, dann wollen wir uns in
Demut vor dem Wunder Gottes neigen. Hat er gelogen, dann
mag ihn die verdiente Strafe treffen.«
    »Quod non« 10 ) , war rings die Antwort.
    »Warum nicht gar bis achtzehnhundertachtundsiebzig?«
bemerkte Scultetus. »Verifizieren, ob er da wirklich auf die
Welt kommt? Ihr treibt die Hospitalität zu weit, wohledler
Büttgemeister. Das hieße platterdings, dreister Gaukelei das
Wort reden. Wird infüro jeder Landstürzer oder Marodeur
prätendieren, er komme aus Otaheit.«
    »Aber ich vermeine«, sagte der gutmütige Rodemacher,
»man solle Inquisiten nicht die Möglichkeit benehmen, seine
Künste zu explizieren.«
    »Ja, aber nur verbis 11 )
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