Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
vergissdeinnicht

vergissdeinnicht

Titel: vergissdeinnicht
Autoren: Cat Clarke
Vom Netzwerk:
Mädchen gegen ein Schaufenster und küsste sie. Es fehlte mir, so geküsst zu werden. Ich ging weiter und rannte fast in eine Gruppe von Stadtjungs mit geputzten Schuhen und fragwürdigen Frisuren. Einer von ihnen drehte sich um und rief mir nach: »Kopf hoch, Kleine. Vielleicht passiert’s nie!« Ich grinste ihn an. Oh doch, ich denke schon …
    Ich erreichte das Tor zum Park. Mein Dad war immer mit mir hierhin gekommen, als ich noch klein war. Ich fütterte dann die Enten und rannte rum wie eine Verrückte. Dad jagte mich und tat so, als wäre er ein Zombie. Und dann stieß er mich auf der Schaukel an – so fest, dass ich mir sicher war, ich würde über die Querlatte schießen, aber ich schrie trotzdem, er solle mich noch höher stoßen. Davon wurde mir nie langweilig.
    Nachdem mein Dad weg war, bekam der Park für mich eine andere Bedeutung. Ich war froh, dass er nicht mehr da war, um es zu sehen. Ich rauchte und trank verdammt starken Cider und machte mit den falschen Jungs rum. Und noch mehr.
    Viele Erinnerungen stecken in dem Park. Gute und schlechte. (Meistens schlechte.) Er schien mir so gut wie jeder andere Ort für mein Treffen mit dem Tod. Ich hatte mich für das Häuschen auf dem Klettergerüst entschieden. Ich versuchte nicht daran zu denken, dass mich irgendein Kind dort finden könnte. Hoffentlich ist es der Parkwächter – der, der ein bisschen wie ein Pädo aussieht. Ächz. Hoffentlich tatscht er mich nicht an. Auch wenn ich dann schon viel zu tot bin, um es zu merken.
    Ich ging am Ententeich vorbei. Schon vor Jahren wurde er trockengelegt. Er wirkte irgendwie traurig, weil er seiner Bestimmung nicht nachkommen konnte. Herrje – ich werde schon rührselig, obwohl ich noch gar nicht ernsthaft mit dem Trinken angefangen habe. Nachher fang ich noch an, über melancholische Bäume oder depressive Mülleimer zu faseln.
    Ich ging zu dem Häuschen, kletterte hoch und setzte mich rein. Der Boden war gar nicht so schmutzig, was mich freute. Nicht, dass es wichtig gewesen wäre.
    Ich nahm das Messer aus meiner Tasche.
    Starrte auf die Klinge und erinnerte mich.
    Jedes Detail jenes Abends stach mir ins Herz.
    Und jeder Grund, aus dem ich nicht mehr leben wollte, drehte das Messer – fester.
    Ich öffnete die Flasche und trank.
    Trank mehr.
    Schloss die Augen.
    Atmete tief ein.
    War bereit.
    Schnitt.
    * * *
    Und dann hörte ich etwas. Ein knarzendes, quietschendes Geräusch. Zu laut. Scheiße. Da ist jemand.
    Ich spähte aus dem Fenster des Häuschens und sah ihn. Auf der Schaukel. Vor und zurück, vor und zurück, so hoch er konnte, ganz wie ich früher.
    Verdammt. Ich kann es wohl schlecht jetzt machen, oder? Ich muss zusehen, dass er verschwindet. Mich in Ruhe lässt. Also steckte ich das Messer wieder in die Tasche, griff mir die Flasche und kletterte aus dem Häuschen.
    Wär ich doch bloß sitzengeblieben und hätte gewartet, dass er weggeht.
    Er sah mir dabei zu, wie ich auf ihn zu wankte. Als ich nah genug war, um ihn mir genau anzusehen … na, das muss ich nicht noch mal ausbreiten. Bestimmt gibt es schlimmere Arten, seine letzten Minuten im Leben zu verbringen. Red ein bisschen mit ihm. Er wird schon irgendwann gehen. Er hielt die Schaukel an, als ich näher kam. Er beobachtete mich, und ich beobachtete ihn. Ich setzte mich auf die andere Schaukel und sagte Hallo. Irgendwas war mit der Art, wie er mich ansah. Ich wusste nicht genau, was es war. Jetzt denke ich, dass ich es weiß – ich glaube, er hat mich erkannt .
    Und was noch schräger ist, ich glaube, ich habe ihn erkannt.
    Aber das ist unmöglich.

Tag 6
    Tag 6? Wie ist das passiert? Gestern bin ich im Bett geblieben. Entweder hab ich geheult oder geschrien (und manchmal auch beides gleichzeitig). Es war furchtbar. Als Ethan zum ersten Mal reinkam, blieb ich unter der Decke. Ich konnte es nicht ertragen, ihn anzusehen. Als er wiederkam, um das Essenstablett zu holen, hab ich gebettelt. Es ist so wahnsinnig peinlich – was ich gesagt habe, wie ich versucht habe, mit ihm zu verhandeln, was ich ihm angeboten habe. Aber die meiste Zeit habe ich ihn gefragt: Warum? Er lehnte mit dem Rücken an der Tür und sagte eine Ewigkeit nichts. Ich wollte mir seine blöden Ohren greifen und seinen blöden Kopf gegen die Tür knallen, bis sein blödes Gehirn rausplatzte. Aber ich tat nichts.
    Oh, ich habe schon darüber nachgedacht, ihn zu überwältigen. Ich habe oft darüber nachgedacht. Und sogar ein paar dämliche Pläne ausgebrütet. Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher