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vergissdeinnicht

vergissdeinnicht

Titel: vergissdeinnicht
Autoren: Cat Clarke
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gelaufen.« Schsch. Sie kommt sonst drauf. Hör auf zu reden.
    »Hey, es ist okay. Wir können Freundinnen sein, Grace. Das würde mir sehr gefallen.«
    Ich fühlte mich vollkommen ausgehöhlt. »Mir auch.«
    Ich ging weg. Hasste mich sogar mehr, als ich die anderen hasste.
    Dreh dich nicht um. Bleib stark … Nicht mehr lang.
    * * *
    Der Nachmittag lief gut. Meine Rüstung schützte mich vor allem und jedem und, am meisten, vor mir selbst. Ich hörte im Unterricht genau zu, schrieb mit über Schlachten und Könige und so Zeugs. Merkte mir die Daten und Namen.
    Und dann war es vorbei. Schule war aus. Alle strömten durch das Schultor nach draußen, nur froh, dass wieder ein Montag abgehakt war.
    Ich sah Devon an der Bushaltestelle. Er sah mich auch. Ich ging auf ihn zu, und er sah besorgt aus, schuldbewusst, befangen. Der Bus kam, und er kämpfte sich in der Schlange nach vorne, versuchte verzweifelt, zu entkommen.
    Ich ließ ihn. Er war nicht wichtig, nicht wirklich.
    * * *
    Zu Hause. Ein Umschlag für mich, von Nat.
    Schreckliche Handschrift, genau wie meine.
    Keine Briefmarke, kein Stempel – persönlich zugestellt. Ich spähte aus dem Fenster, falls er mich beobachtete. Tat er nicht.
    Warum hatte er nicht gewartet, um mich zu treffen?
    Du willst ihn nicht sehen. Es macht keinen Unterschied. Es ist besser so.
    * * *
    Ich saß auf dem Sofa, der Umschlag neben mir.
    Lesen. Nicht lesen. Lesen. Nicht lesen. Nicht lesen. Nicht lesen. Nicht lesen. Nicht lesen. Es sind nur Lügen. Lügen und Ausreden und mehr Lügen.
    Du kannst niemandem vertrauen, nie.
    Ich riss ihn in winzige Stücke – so klein, dass man sie nie wieder zusammensetzen konnte. Ich warf sie in den Mülleimer.
    * * *
    Abendessen mit Mum vor dem Fernseher. Reichst du mir das Salz, bitte.
    Abwaschen. Alles wieder an seinen Platz stellen.
    Die Messer im Messerblock betrachten. Wählen.
    * * *
    Zeit, ein letztes Mal in den Park zu gehen.
    Zeit zu gehen, Grace.
    * * *
    Und das war’s. Mission erfüllt. Montag war vorbei.
    Ich war vorbei.
    Dachte ich jedenfalls.
    * * *
    Ethan ist weg. Ich bin aufgewacht und er war weg.
    Er hat mich verlassen. Genau wie Dad. Nein. Nicht wie Dad.
    Ich habe keine Angst mehr. Ich brauche Dad nicht. Oder Ethan. Oder Nat. Oder Sal. Nicht wirklich.
    Ich bin lebendig und stark und strahlend und neu, und ich glaube, alles wird gut.
    Ich muss nur hier rauskommen. Bald.
    Die Tür ist nicht verschlossen. Ich weiß , dass die Tür nicht verschlossen ist. Ethan würde mich nicht anlügen.
    Einmal schlafen, und ich bin bereit.
    Einmal schlafen.
    Verträumt, verschlafen, verpeilt. Aufwachen, Schlafmütze.
    Ich kann die Augen nicht öffnen. Warum kann ich die Augen nicht öffnen? Gib dir mehr Mühe. Es hilft nichts. Meine Augen sind gebrochen. Dann hör zu. Stille. Nein, nicht ganz Stille. Piepen, weit weit weg.
    Auch Rauschen. Wie die Wellen: vor, zurück, vor, zurück. Weiter und weiter und weiter. Schsch. Geh wieder schlafen. Schlaf ist gut. Du kannst für immer schlafen.
    * * *
    Aufwachen, Schlafmütze.
    Oh, bitte, lass mich schlafen. Ich bin so müde.
    Nein. Steh auf. Mach die Augen auf. Beweg wenigstens deinen Arm.
    Ich versuche es. Arm gehorcht nicht. Wenigstens denke ich es, aber ich bin auch nicht sicher, wo er ist. Gib dir mehr Mühe. Finde ihn, fühle ihn. Er sollte an deiner Schulter sein. Da ist er, mit einer Hand am Ende. Und Fingern. Versuch, die Finger zu bewegen. Nein, geht nicht. Ich kann aber etwas fühlen. Was ist das? Fühlt sich vertraut an, schön. Eine Hand in meiner: warm und tröstlich. Die Hand eines Jungen, glaube ich. Mmm, du riechst gut.
    Bist du Ethan?
    Wer ist Ethan?
    Ich erinnere mich nicht.
    * * *
    Stimmen. Leute mit Stimmen. Sie sagen Sachen, die ich nicht verstehe. Lange Wörter. Frag sie, wo du bist. Frag sie, warum du die Augen nicht öffnen kannst. Frag sie frag sie frag sie was mit dir nicht stimmt. Sprich. Jetzt. ICH KANN NICHT ICH KANN NICHT ICH KANNNICHT. Schreien in meinem Kopf. Meine Augen sind gebrochen und auch mein Gehirn.
    Still. Mach dir keine Sorgen. Vielleicht bist du wieder eingeschlafen, als du Emergency Room geschaut hast.
    * * *
    Eine andere Hand. Kleiner, kälter. Und eine Stimme.
    »Aufwachen, Schlafmütze. Es ist jetzt Zeit aufzuwachen. Komm schon, mach die Augen auf, nur für mich. Ich weiß, dass du das kannst, wenn du es versuchst. Nein? … Also, drück meine Hand … Wenigstens ein kleines bisschen. Bitte.« Meine Hand schwebt, höher. Immer noch am Ende meines Arms, denke ich.
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