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vergissdeinnicht

vergissdeinnicht

Titel: vergissdeinnicht
Autoren: Cat Clarke
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an
    ins Fleisch schneiden
    hervorquellendes Blut
    benebeltes High
    Befreiung.
    * * *
    Später. Ein zu helles Nachtcafé. Immer noch nachdenken, Tasse um Tasse um Tasse Kaffee trinken, bis ich auf den Tisch kotze. Rausgeworfen werde. Keine Tränen, noch nicht.
    Die Nacht dauerte und dauerte, und ich fürchtete mich vorder Dämmerung. Ich wollte nicht, dass das Morgen kam. Aber es kam.
    Sonntagmorgen, und die Läufer und Hunde und Leute mit Cappuccinos und Zeitungen. Früh auf, um viel vom Tag zu haben. Das Geistermädchen ignorieren, das unter ihnen wandert.
    Benommen. Genommen, nehmen, fühlen, wollen.
    Öffentliche Toilette. Geistermädchen starrt mich aus dem Spiegel an.
    Wer bist du?
    Niemand.
    * * *
    Zu Hause. Draußen warten, Schlüssel in der Hand. Noch eine Tür zu öffnen.
    Auf dem Sofa die Mutter, wartend.
    »Wo warst du?« Leise leise, aber ich konnte den Stahl hören.
    »Ich hab’s dir doch gesagt – ich hab bei Sal übernachtet.«
    »Hmmm … und hattet ihr es schön?«
    »Ja. Wir waren in der Spätvorstellung im Kino. Ich dachte, Mr. Stewart könnte mich nach Hause fahren, aber er ist auf einer Konferenz oder so, und ich hatte nicht genug Geld für ein Taxi. Sorry.«
    »Wirklich?«
    »Ja.« Ich steuerte auf die Treppe zu.
    »Setz dich.« Ganz aus Stahl.
    »Ich bin echt müde. Ich muss echt ein bisschen schlafen.«
    » SETZ dich. Jetzt.«
    Keine Wahl, als zu gehorchen.
    »Wann ist aus dir so eine gute Lügnerin geworden, Grace Carlyle?« Lippen geschürzt, Wut kaum zurückgehalten.
    Ich versuchte nicht mal, etwas einzuwenden. Längst egal.
    »Sal hat gestern Abend angerufen und gefragt, wo du bist. Sie hat sich Sorgen gemacht. Ich war die ganze Nacht auf, hab aufdich gewartet und mir auch Sorgen gemacht. Fast hätte ich die Polizei gerufen.«
    Verächtliches Schnauben von mir.
    »Würdest du mir vielleicht erklären, was genau du daran so witzig findest? Schau dich doch mal an! DU SIEHST SCHRECKLICH AUS !« Die Wut auf mich schreien, spucken. Sie packte mich und zog mich vor den Spiegel über dem Kamin.
    »Schau, in welchem Zustand du bist. Du siehst halb tot aus.«
    Ich schaute. Schmieriges Haar und bleiches Gesicht und dunkle Ringe und Augen. Grüne Augen, die eher grau aussahen. Gebrochene Augen.
    Halb tot? Mehr als halb, fast schon ganz.
    »Nimmst du Drogen?«
    Ein Kichern von mir, schrill und manisch.
    »Also? Nimmst du welche? Schau mich an, Grace.« Mehr Herumstoßen, Schütteln. Mein Kopf hielt sich mit letzter Verzweiflung auf meinen Schultern. »Antworte mir, verdammt noch mal!«
    »Nein, Mutter. Ich nehme keine Drogen, aber danke, dass du fragst. Es ist schön zu wissen, dass du dich um mich sorgst.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Was glaubst du, was es heißt?« Keine Wut. Eine Stimme, von meinem Körper losgelöst.
    »Natürlich mache ich mir Sorgen, du dummes Kind. Aber du machst es einem manchmal nicht einfach.«
    »Es ist nicht meine Aufgabe, es dir einfach zu machen. Du bist meine Mutter, schon vergessen?«
    Jetzt war sie richtig wütend. Besonders, weil ich es nicht war.
    »Werd erwachsen, Grace.«
    »Oh, ich bin schon vor langer Zeit erwachsen geworden. Blöd nur, dass du nicht da warst, um es merken. Blöd nur, dass du nie mal nachgefragt hast, wo ich in den ganzen anderen Nächten war.«
    Das verwirrte sie, wenn auch nur für einen Moment.
    »Welche anderen Nächte?« Geschlagen, ernüchtert, müde.
    Ein Grinsen von mir. »Die Nächte, in denen ich mit Jungszusammen war, Mutter. Einer Menge Jungs. Und ziemlich oft Sex hatte, wenn du es genau wissen willst.«
    »Grace!«
    »Was hast du denn gedacht, was ich mache? Mit Puppen spielen? Picknick mit den Teddybären?«
    »Sei still!«
    »Du kannst doch nicht ernsthaft behaupten, dass dich das überrascht ? Du weißt doch, wie es heißt … der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«
    »Hör auf! Hör SOFORT auf!« Zeit für Tränen. Aber nicht für mich. Noch nicht. »Dein Vater hätte dieses Benehmen nie zugelassen … er hätte sich für dich geschämt.«
    »Und wenn schon. Dann hätte er sich verdammte Scheiße noch mal nicht umbringen sollen, oder? Wenn er sich so verdammt um mich gesorgt hat.« Da spürte ich etwas – ein Aufflackern von Gefühlen, von Anteilnahme. Ich trampelte es gewaltsam nieder.
    »Geh auf dein Zimmer. Sofort.«
    »Alles, was du sagst, Mutter .«
    Sie hasste mich, und das war gut so.
    * * *
    Fragen. Viele Fragen, alle kämpften um meine Aufmerksamkeit. Ich versteckte mich vor ihnen unter der Decke, aber
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