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Vergiss mein nicht (German Edition)

Vergiss mein nicht (German Edition)

Titel: Vergiss mein nicht (German Edition)
Autoren: David Sieveking
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mindestens noch ein weiteres Jahr von meiner Mutter bekocht zu werden. Mir gefiel auch, dass sie jetzt noch ehrgeiziger in meine Bewerbungsarbeit mit einstieg. Während ich meinen Vater als Darsteller in meinen Bewerbungsfilmen einsetzte, kümmerte sich meine Mutter um die Texte. Sie korrigierte nicht nur die Rechtschreibfehler, sondern lektorierte auch meine Filmkritiken und schrieb sogar eine autobiografische Liebesgeschichte, die als Vorlage für ein Kurzfilmdrehbuch diente. Die Erzählung handelte von Gretels unmöglicher Liebe zu einem britischen Bademeister und beschwor ihre melancholische Stimmung, als sie für einen Sommer Ende der 50er in einem südenglischen Hotel arbeitete.Als ich schließlich meine Sachen packte, um nach Berlin zu ziehen, lag über dem Abschied eine unausgesprochen traurige Stimmung, ähnlich wie in ihrer Geschichte. Ironischwerweise hatte Gretel durch ihre tatkräftige Unterstützung bei der nun erfolgreichen Bewerbung, dazu beigetragen, dass wir uns nun trennten. Sie wusste, dass sie mich loslassen musste, damit ich mich entfalten konnte. Ich erinnere mich an keine größere Abschiedszeremonie und leider sagte ich ihr nicht mal, wie lieb ich sie hatte und dass ich sie vermissen würde.
    Mein Vater hatte ganz andere Sachen im Kopf, als er mich im vollgepackten Wagen nach Berlin kutschierte. Wir kamen auf meine damalige Freundin zu sprechen. Ich hoffte, sie würde auch bald einen Studienplatz in Berlin bekommen und war mir nicht sicher, wie lange wir eine Fernbeziehung aufrechterhalten konnten, wenn sie weiter in Frankfurt wohnen bliebe. Doch Malte erteilte mir daraufhin keinen klugen Ratschlag, wie man es in einem Vater-Sohn-Gespräch erwartet hätte, sondern schüttete mir stattdessen sein eigenes Herz aus. Er sei gerade auch sehr unglücklich, weil nämlich eine Frau, mit der er sich sehnlichst eine Affäre gewünscht hatte, ihm einen Korb gegeben hatte. Er hatte ihr Briefe geschrieben und sie zu Konzerten eingeladen, in denen er sich über ihr lautes Lachen freute. Doch vor Kurzem hatte sie ihm überraschend erklärt, sie hätte jetzt einen neuen Freund, nämlich einen türkischen Programmierer, den sie über eine Kontaktanzeige kennengelernt hatte und mit dem sie bald nach Afrika zöge.
    Ich hätte die Geschichte zum Lachen gefunden, wäre mir nicht meine Mutter in den Sinn gekommen, von der wir uns gerade mit großer Geschwindigkeit entfernten. Für geraume Zeit schwiegen wir. Was sollte ich auch sagen? Ich wollte von den Affären meines Vaters gar nichts wissen. Zum ersten Mal erschien mir diese ganze Offene-Ehe-Geschichte irgendwiebrutal: Da wusste man den geliebten Partner in fremden Betten und musste dann auch noch offen darüber reden und sogar Mitgefühl zeigen, wenn es einmal nicht klappte.
    Die 68er-Ideologie meiner Eltern besagte, dass man in der Liebe bloß keine Besitzansprüche zeigen sollte. Aber meine Mutter zeigte durchaus solche »bürgerlichen« Gefühle. Zum Abschied hatte sie mir einen eleganten muschelförmigen 50er-Jahre-Sessel geschenkt, den sie von ihrer Mutter geerbt hatte und den sie für mich hatte neu polstern lassen. Mir wurde erst bewusst, wie sehr ihr dieser Sessel am Herzen lag, als sie bei ihrem ersten Besuch in meiner Berliner Studentenbude feststellte, dass der Sessel nicht bei mir, sondern bei meinem Mitbewohner im Zimmer stand. Sie wollte den Sessel dann am liebsten gleich wieder mit nach Hause nehmen. Ich wunderte mich über ihre beleidigte Reaktion und stellte das gute Stück wieder zurück in mein Zimmer. So beleidigt hatte ich sie selten erlebt.
    Während die Beziehung zu meiner Freundin in Frankfurt langsam aber sicher in die Brüche ging, blieb der Kontakt zu meiner Mutter beständig. Wir telefonierten mindestens einmal die Woche, und für mich war es ganz natürlich, dass sich mein Erstjahresfilm an der Filmakademie um meine Mutter drehte – schließlich war sie doch die Frau meines Lebens. In dem Kurzspielfilm ging es um die Abnabelung eines jungen Mannes von seiner ›Übermutter‹. Die Beziehungskomödie war frei erfunden, aber viele Details und die grundlegenden Konflikte waren der Realität entlehnt. Der Sohn im Film wurde von mir selbst gespielt, während meine Mutter von einer Schauspielerin gemimt wurde.
    Die Geschichte beginnt damit, dass der Sohn von seinem Studienort nach Hause kommt und eigentlich nur eben das elterliche Auto ausleihen will, um seine Freundin abzuholen.Die Mutter hat sich jedoch den Besuch ihres Sprösslings
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