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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet
Autoren: Thomas Enger
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zu erwidern. Darum sagt er, ohne aufzusehen: »Ich möchte Ihre Zeit nicht mehr als nötig beanspruchen. Danke, dass Sie bereit waren, sich mit mir zu treffen.«
    »Es war mir ein Vergnügen. Melden Sie sich jederzeit bei mir, wenn Sie noch irgendetwas wissen wollen.«
    Henning lächelt schwach und nickt. Sie reichen sich noch einmal die Hand, ehe Ophus aufsteht, auf die Ampelkreuzung zustrebt und dabei an einem Mann vorbeigeht, der an der kalkweißen Mauer lehnt und an einem kurzen Zigarettenstummel saugt. Die Glut ist fast verlöscht.
    6
    Ørjan Mjønes lehnt den Kopf gegen das United-Airlines-Fenster und schaut auf Oslo hinunter. Grüne Bäume verhüllen das Ekebergrestaurant am östlichen Hang oberhalb der Stadt. Näher am Zentrum tummeln sich die Leute auf den Rasenflächen der Fjordstadt. Das Dach der Oper strahlt wie eine glitzernde Eisscholle in der Sonne. Ein paar hundert Meter unter dem Flugzeugrumpf ragen die backsteinroten Rathaustürme wie zwei blutverschmierte Zähne auf.
    Der Flieger gleitet still durch die Luft, als der Kapitän verkündet, dass es bis zum Landeanflug nur noch wenige Minuten sind. Mjønes schließt die Augen. Die Reise ist lang gewesen. Bogota hin und zurück. Auf beiden Strecken mit Zwischenlandung in Newark, wobei er an Bord kein Auge zugemacht hat. Mehr als ein halbstündiger Erschöpfungsschlaf auf einer Bank, während er auf den Anschlussflug nach Oslo wartete, war ihm nicht vergönnt. Fast fünfunddreißig Stunden in der Luft. Anstrengend. Aber es war die Anstrengung wert.
    Angefangen hat das Ganze, als er vor fünf Tagen seinen fiktiven Usernamen im Titelfeld von finn.no las. Später hat er die Nummer aus der Anzeige angerufen und eine Stimme gehört, die er beinahe zwei Jahre nicht mehr gehört hatte. Ausgehend davon, wie aggressiv die Stimme bei ihrem letzten Gespräch geklungen hatte, hat Mjønes nicht damit gerechnet, jemals wieder etwas mit Goofy zu tun zu bekommen. Sie verabredeten sich auf dem unteren Deck des Parkhauses Oslo City. Mjønes ging so lange Richtung Westen, bis eine schneidende Stimme von der Rückseite einer Säule ihn aufforderte anzuhalten. Ein langer Schatten fiel über den Betonboden.
    Mjønes blieb stehen und sah sich um. Weiter weg quietschten ein paar Reifen, aber es war kein Mensch zu sehen.
    »Lange nicht gesehen«, sagte er, aber Goofy antwortete nicht. Stattdessen wurde ein C4-Umschlag über den Boden zu ihm geschoben. Zögernd bückte er sich und hob ihn auf. Er zog ein Foto heraus. Der Mann auf dem Bild hatte ein großes rotes Kreuz über dem Gesicht. Mjønes blieb stehen und starrte lange ungläubig auf das Bild.
    »Du verarschst mich.«
    »Nein.«
    Mjønes sah das Bild noch einmal an, zog dann das Blatt heraus und überflog den Text. Er schüttelte den Kopf und sagte etwas, das ihm sonst selten über die Lippen kam: »Unmöglich.«
    »Nichts ist unmöglich. Und hättest du beim letzten Mal deine Aufgabe ordentlich erledigt, bestände kein Bedarf an diesem Job.«
    Mjønes wollte protestieren, wusste aber, dass Goofy recht hatte. Was beim letzten Mal geschehen war, quälte ihn. Schnitzer waren scheiße. Trotzdem sagte er: »Das ist zu riskant.«
    Die Fortsetzung des Gesprächs verwunderte ihn.
    »In meinem Büro liegt ein Umschlag, identisch mit dem, den du gerade in der Hand hältst. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass darin ein Foto von dir liegt.«
    »Von mir?«
    »Ja, von dir. Wenn du den Job nicht übernimmst, bist du der Nächste.«
    Mjønes wollte um die Säule herumgehen, um Goofy zu konfrontieren, aber das Auftauchen eines Arms und einer Pistolenmündung hielt ihn davon ab.
    »Wenn ich in fünfzehn Minuten nicht zurück im Büro bin, geht der Umschlag an den Nächsten auf der Liste. Aber ich will dich. Ich denke, das ist eine passende Gelegenheit, deinen Fehler vom letzten Mal wiedergutzumachen. Ganz davon abgesehen wirst du gut bezahlt.«
    Mjønes versuchte, den ersten Schock abzuschütteln.
    »Wie gut?«
    »Zwei Millionen Kronen. Fünfundzwanzig Prozent cash, hier und jetzt. Den Rest bekommst du, wenn alles erledigt ist und sämtliche Spuren beseitigt sind.«
    Mjønes schwieg, er dachte über die Herausforderung nach und fragte sich, welche Möglichkeiten er hatte. Er kratzte sich am Hinterkopf und massierte die Nasenflügel zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann sagte er: »Ich mach es für drei.«
    Einige Sekunden Stille. Dann sagte Goofy: »Gut.«
    Ein intensiver Rausch durchströmte Mjønes Körper, aber er konnte ihn kaum
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