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Vergebliche Suche nach Gaby

Vergebliche Suche nach Gaby

Titel: Vergebliche Suche nach Gaby
Autoren: Stefan Wolf
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des
Raubtierhauses sehen. Als die beiden Brings frisch eingezogen waren, hatte sich
Claudia nachts gefürchtet. Denn das Gebrüll von Tiger und Löwe drang durch die
Mauern und zu ihr herüber. Inzwischen aber war’s ihr vertraut, als hätte sie
ihre Kindheit im Dschungel verbracht.
    Auch nicht schlimmer als Oskars
Jaulen im Schlaf, dachte Gaby — und lächelte der Sonne zu, die noch etwas
gesunken war. Die Strahlen zogen eine goldene Bahn über die Wipfel der Fichten
und beleuchteten das Dach des einzigen Hauses — eines ältlichen Bungalows — ,
das hier stand.
    Es stand auf der Zoo-Seite. Das
Gelände des Tierparks wich an dieser Stelle etwas von der Straße zurück. Das
Bungalow-Grundstück — ein 20 Meter breites Handtuch mit Haus, angebauter Garage
und verwildertem Garten — hatte sicherlich seit Urzeiten sein Besitzrecht
verteidigt. Deshalb war hier der Zoo etwas schmaler.
    In diesem Moment trompetete
beim Elefanten-Gehege ein mächtiger Dickhäuter. Gaby zuckte zusammen. Es klang
nah und irgendwie bedrohlich. Sehen konnte sie den Jumbo nicht. Der Zoo ist
rundum mit dichter Hecke umgeben, die sich im Laufe ihres Wachstums in den
hohen Maschenzaun geflochten hat. Doch Gabys Fantasie war schon in die
wildesten Gegenden Afrikas enteilt. Sie sah sich auf glutheißer Savanne,
umgeben von wütenden Elefanten — und kein Tim in der Nähe, nicht mal ein
Affenbrotbaum mit touristen-freundlichen Kletterästen.
    Gabys Gewissen war etwas
schlecht drauf — seit einer halben Stunde. Denn vorhin — beim Start von Zuhause
— war’s die Frage gewesen: Oskar mitnehmen — ja oder nein? Eigentlich hätte er
nicht gestört auf der Fete. Aber Gaby hatte Bedenken gehabt wegen der wackligen
Palme. Auf die musste sie achten, meist mit einer Hand hinter sich. Dann noch
den Vierbeiner an der Leine führen — das wäre absolut stressig geworden.
Deshalb hatte sich Gaby dagegen entschieden. Aber ganz wohl war ihr nicht.
    Später würde sie sich fragen,
ob ihre Entscheidung zum Glück oder zum Unglück war. Einerseits hätte ihr Hund
sie vielleicht rechtzeitig vor dem Unheil gewarnt. Andererseits hätte es
vielleicht — seinen Tod bedeutet. Denn Bären sind fast 60 km/h schnell. Und wer
weiß, wo sich in der Panik Oskars Leine verfangen hätte.
    Gabys Blick wanderte nach
rechts. Und diesmal war der Schreckauslöser keine optische Täuschung. Denn die
Umfriedung des Zoos war defekt. In Hecke und Zaun war ein Loch, ein riesiges
Loch. Ein Kleinwagen hätte durchgepasst.
    Wer auch immer das angerichtet hatte
— es war mit unglaublicher Kraft geschehen. Vom sehr stabilen Maschenzaun hing
Drahtgeflecht in die Öffnung wie zerrissene Spinnweben. Die kräftige
Koniferen-Hecke war zerbrochen, teils entwurzelt. Die Bruchstellen der Büsche
waren ganz frisch.
    Gaby befand sich etwa sechs
Meter entfernt. Und sah: Hinter der Hecke bewegte sich etwas, ja! Dort war ein
großes dunkles Tier. Jetzt war’s an dem Loch und schob sich durch auf den
Grünstreifen neben der Straße.
    Gaby schrie auf.
    Sofort bewegte der riesige
Braunbär den Kopf. Ausdruckslose Augen — ausdruckslos durch jahrelange
Gefangenschaft — sehen sie an.
    Gaby weiß, wie schnell Bären
sind. Sie sehen nicht aus wie Sprinter, aber sie sind’s. Dieses Raubtier hier
war mindestens zweieinhalb Meter lang und sechs Zentner schwer. Ein Ursus
arctos. Europas stärkstes Raubtier, das großes Wild, auch Schafe und Rinder
reißt. Als Teddy entzückend, aber hier...
    Also doch!, schoss es ihr durch
den Kopf. Keine Täuschung. Bären sind frei. Der von eben. Und dieser.
Mindestens zwei. O Gott!
    Vergessen war die Zimmerpalme.
Gaby sauste los, was die Reifen hielten. Vorbei an dem Raubtier, das sich
ebenfalls in Bewegung setzte. Gabys Herz hämmerte. Angst hatte sie wie eine Faust
im Nacken gepackt. Ein Prankenhieb — und aus wäre alles. Himmel, dieser Petz
wusste doch nicht, was für eine Tierfreundin sie ist: Eine Tierschützerin, die
sich einsetzt für alle im Tierreich und deren Rechte. Doch selbst wenn er’s
gewusst hätte: Ein Raubtier bleibt immer ein Raubtier und zerfleischt — wenn
nicht abgerichtet — auch die Hand, die es füttert.
    Gaby preschte mit Höllentempo.
    Hinter ihr ein ärgerliches
Brummen.
    Blick zurück! Der Bär folgte
ihr, galoppierte auf allen vier Tatzen. Aber sie war schneller.

    Die Palme schwankte wie wild.
    Noch schneller!
    Wahnsinn!, dachte sie. Wieso
sind die Bären frei? Wird das ein Streichelzoo für Lebensmüde?
    In diesem Moment kam der
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