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Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)

Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Autoren: Alix Rickloff
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Lungenflügel des Mannes. Seine Haut war eisig kalt und, bis auf das Gewirr von silbern angehauchten Narben, von einem milchigen Blau. »So. Sehen Sie? Spüren Sie, wie das Leben dort noch flattert?«
    Sabrina konzentrierte sich auf das Auf und Ab seiner stockenden Atemzüge und ließ bei jedem Aus- und Einatmen ihre heilende Magie in das Muster einfließen. Ruhig. Zielstrebig. Unfehlbar. Aber nein, Moment … irgendetwas war hier nicht in Ordnung. Nicht so, wie es sein müsste. Zu ihrem Erstaunen vereinten und verknoteten sich unbekannte Stränge in diesem Fremden und verbanden sich ohne ihre Hilfe oder ihre Kräfte miteinander. Das war ein völlig neues Muster. Ein ihr fremdes Verweben von Leben und einer Magie mit einer durch nichts zu erschütternden Dunkelheit in ihrem Kern. Hinzu kam ein leichtes, kaum merkliches Anrühren ihres Bewusstseins, während sie bei der Arbeit war.
    Dann nichts mehr. Die unbekannte Magie verschwand auf die gleiche subtile Weise, wie sie erschienen war.
    Sabrina konzentrierte sich noch mehr, doch nach einer ruckartigen Kopfbewegung des Mannes fiel er aus der Bewusstlosigkeit in einen tiefen Schlaf. Der Tod zog sich zurück.
    »Schwester Ainnir, haben Sie das gespürt?«, fragte Sabrina mit einem langen, nachdenklichen Blick auf den Patienten.
    Der Mann atmete, und auch seine Haut bekam schon wieder Farbe, ein mattes Goldbraun, wo er gerade noch kreidebleich gewesen war. Aber waren es ihre und Schwester Ainnirs Bemühungen gewesen, die das bewirkt hatten? Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie fast gedacht …
    »Das ist Leben, Sabrina.« Schwester Ainnir, deren Gesicht so wächsern war wie die tropfenden Kerzen hinter ihnen, ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Auf den hier wird das Todesreich Annwn noch warten müssen.«
    Sabrinas Gefühl, dass irgendetwas nicht in Ordnung war, wich im Nachglanz des Erfolges. Dieser Mann hatte auf nichts mehr reagiert, ja war praktisch schon tot gewesen, als er im Kloster eingetroffen war, doch ihre Fähigkeiten hatten ihn gerettet. Dies war etwas, worin sie, Sabrina, gut war. Ein Können, das kein Mangel an Reichtum, Schönheit oder eleganten gesellschaftlichen Manieren schmälern konnte.
    Sie zog die Decke über den Fremden und ließ den Blick einen Moment über die harten Züge und grimmigen Linien seines Gesichts gleiten. Selbst schlafend sah er aus, als wäre er bereit zu morden. Ein harter Zug lag um sein Kinn, seine Lippen waren zusammengepresst zu einem schmalen Strich.
    Was für Missgeschicke hatten ihn, die Lunge voller Seewasser, an einen Felsenstrand gespült?
    Seine Emotionen sprachen von Gewalt und Kampf, sein Körper trug die Spuren davon. Die stahlharten Muskeln, das Gewirr der Narben, die beängstigende Intensität seines Gesichtsausdrucks …
    Ganz leicht nur, wie ein Streicheln, rührte Sabrina an sein Bewusstsein, in der Hoffnung, ihm Frieden, Sicherheit, die Wärme eines weichen Bettes und die Ruhe eines stillen Zimmers zu vermitteln. Aber selbst diese flüchtige Berührung brachte einen Querschläger von Emotionen zurück. Nicht mehr die verheerende Wut des Zyklons, sondern Trauer, Qual und eine solch niederschmetternde Verzweiflung, dass sie Sabrina die Tränen in die Augen trieb.
    Sie schnappte nach Luft, fuhr sich mit dem Ärmel über die brennenden Wangen und zog sich schnell wieder in sich selbst zurück. Zwang sich, ihren Blick und ihre Gedanken von ihm abzuwenden, obwohl sie seine Gegenwart wie ein Messer im Rücken spürte und sein bedrohliches Schweigen wie sich nähernde Gewitterwolken an einem schmutzig gelben Himmel.
    Und sie las eindeutig zu viele Romane, wenn sie sich solch melodramatischen Vorstellungen von einem halb ertrunkenen Piraten hingab.
    Sie schüttelte die unsinnigen Fantasien ab, um sich auf Schwester Ainnir zu konzentrieren, die sie fast benommen vor Erschöpfung ansah. Großer Gott! Da dachte sie sich Geschichten aus, während sie sich um die arme Schwester Ainnir kümmern müsste.
    Sie waren Stunden hier gewesen, die Zeit des Abendessens war gekommen und gegangen, und die abendliche Dämmerung hatte sich längst zu Dunkelheit vertieft. War es für die betagte Priesterin zu viel gewesen? Hatte sie mehr von ihrer Kraft verbraucht, als gut für sie war?
    »Erlauben Sie mir, Sie zu Ihrem Zimmer zu begleiten.« Sabrina hielt der alten Frau den Arm hin, damit sie sich darauf stützen konnte, als sie sich mühsam von ihrem Stuhl erhob.
    »Und der Herr?«, entgegnete Schwester Ainnir seufzend.
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