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Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)

Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Verführung der Finsternis: Roman (German Edition)
Autoren: Alix Rickloff
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eine solch intensive Kälte, dass sie ihn schier auseinanderriss. Als er jedoch nach den Gründen für diese Empfindungen suchte, stieß er gegen eine Barriere – eine Wand, hinter der eine endlose Leere lag.
    Er bemühte sich noch mehr, aber die Leere erstreckte sich in alle Richtungen. Jeder Versuch, sich zu konzentrieren, verschlimmerte noch seine Kopfschmerzen. Trotzdem strengte er sich an, doch Panik ersetzte nun seine Verwirrung, bis das Zittern, das seinen Körper schüttelte, weniger mit der Kälte und viel mehr mit purer Angst zu tun hatte. Die einzige Erinnerung, die er seinem gequälten Hirn abringen konnte, war das Gesicht einer Frau, von der er jedoch nicht wusste, wer sie war.
    Vielleicht würde es helfen, wenn er aufstand und ein paar Schritte ging. Also kämpfte er sich auf die Beine, die ihm jedoch schon nach wenigen Sekunden den Dienst versagten. Das Zimmer schwankte und schlingerte wie ein Schiff in einem Sturm, und sein Magen rebellierte. Ein solch fürchterliches Würgen packte ihn, dass er sich krümmte und nach Atem rang.
    Er legte sich wieder auf die klumpige Strohmatratze, starrte zu dem abblätternden Gips an der Decke auf und umklammerte die dünne Wolle seiner Decken. Um ein Aufstöhnen purer animalischer Angst zu unterdrücken, biss er die Zähne zusammen.
    Jemand würde kommen. Sie würden ihm sagen, was geschehen war und warum er hier war.
    Wer er war.
    Und tatsächlich bewegte sich der Riegel an der Tür, und sie schwang auf, um eine vom schwachen Licht des Korridors umnebelte Gestalt zu offenbaren, die eintrat und dann wieder stehen blieb.
    Und ihm stockte der Atem.
    Dort stand die Frau, die einzige Erinnerung, die ihm geblieben war.
    Ihr Name war … Schon wieder war sein Kopf wie leer gefegt.
    »Bitte, wie heißen Sie?«, fragte er mit krächzender Stimme und hoffte, dass sie nicht gekränkt sein würde, weil er sich nicht erinnern konnte.
    Aber sie lächelte ihn an, was ihrem ernsten Gesicht ein Strahlen gab, und kam zu ihm, um sich neben ihn zu setzen und das mitgebrachte Tablett auf die kleine Bank zu stellen. »Ich bin Sabrina. Doch eigentlich hatte ich gehofft, dass Sie mir Ihren Namen nennen würden.«
    Oje, sie kannte ihn nicht! Sie konnte die Lücken nicht füllen. Diese Erkenntnis zerstreute die letzte Hoffnung, an die er sich geklammert hatte. Er war allein und auf sich gestellt. Ohne die leiseste Ahnung, wer er war.
    Und sie sah ihn mit schräg gelegtem Kopf erwartungsvoll und eifrig an.
    Er hasste es, sie enttäuschen zu müssen, als er den Kopf schüttelte, hasste die Übelkeit erregende, fürchterliche Angst, die ihn jetzt ebenso deprimierte wie das Vergessen, das ihr vorangegangen war. »Ich erinnere mich nicht.«
    Im schwachen Schein des Mondes untersuchte er sich wie einen Fremden, angefangen bei Einzelheiten wie seinen großen, schwieligen Händen, einem Muttermal gleich unter seinem Schulterknochen und der fehlenden Spitze seines linken Ringfingers.
    Als nichts von alldem eine Erinnerung wachrief, erweiterte er die Untersuchung auf allgemeinere Dinge wie die Kraft, die er in sich spürte, und seinen schlanken, aber muskulösen Körperbau. Die langen Beine und starken Arme. War er Soldat? Seemann? Ein irischer Bauer? Was für ein Leben würde eine solch robuste Zähigkeit zur Folge haben?
    Schließlich gelangte er zu dem, was ihn am neugierigsten machte, ihn jedoch auch am meisten abstieß – zu dem Gewirr von Narben, das seinen ganzen Körper überzog. Was für ein furchtbarer Unfall mochte sie verursacht haben? Oder waren sie gar nicht das Ergebnis eines Unfalls? Vielleicht waren es ja vorsätzliche Entstellungen. Was für Kämpfe hatte er ausgefochten, um sich derartige Wunden zuzuziehen? Oder was für Verbrechen hatte er begangen, um solche Bestrafungen herbeizuführen? Oder hatte er sich gar nichts zuschulden kommen lassen und war zu Unrecht so misshandelt worden? Und war der Verursacher dieser Verletzungen noch immer auf der Jagd nach ihm?
    Frustriert kniff er die Augen zusammen und schlug sich gegen die Stirn, um wenigstens das kleinste Bild aus seinem Gehirn herauszuschütteln, das so inhaltsvoll war wie reingewaschener Sand an einem Strand.
    Aber alles war vergeblich.
    Wenn seine Anstrengungen also nichts als Kopfschmerzen erbrachten, begann er wohl besser mit dem einzigen noch vorhandenen Bild.
    Mit dem Gesicht der Frau.
    Lange, nachdem sie wieder gegangen war, sah er sie noch vor sich – schlank wie eine Weidenrute und mit Bewegungen von einer
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