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Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)

Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)

Titel: Verflucht seist du: Kommissar Dühnforts fünfter Fall (German Edition)
Autoren: Inge Löhnig
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Strand, wie Tropfen im Meer, wie Blätter an den Bäumen dieser Welt, wie Kirschblütenblätter im Frühling, wie Atome im Universum, wie flüchtige Gedanken, wie nie gewisperte Worte zwischen Mitternacht und Morgengrauen.
    Ein Hintern drückte sich gegen ihren Bauch. Marlis fuhr zusammen, atmete durch. Ihre Sinne mussten total überreizt sein, wenn sie glaubte, dergleichen wahrnehmen zu können.
    Die U-Bahn fuhr an.
    Wie lang konnte eine Minute dauern? Tausend Jahre, eine Unendlichkeit? Immerwährender Stillstand? Auf immer und ewig eingepfercht in einer dampfenden Masse heißer, schwitzender, stinkender Leiber. War das die Hölle? War dies das Fegefeuer? Dantes Inferno? Sie war aus ihrem Paradies gestürzt. War sie diejenige, die Dantes Höllenkrater formte, wie ein Meteorit einschlug und sich ihre eigene Hölle schuf, ihr Fegefeuer der Überheblichkeit, des Nichterkennenwollens, des Fremdseins, trotz zwanzig Jahren Ehe? Hast du es geahnt? Dante Alighieri? Hast du es vorhergesehen?
    Ratternde Dunkelheit rauschte an ihr vorbei. Wo ich ihn nicht hab, ist mir das Grab, die ganze Welt ist mir vergällt.
    Warum?
    Doch es würde nie eine Antwort geben. Nie. Niemals. Nie und nimmer. Selbst wenn alle Zeit in einer Sekunde gerann. Warum hatte er nichts gesagt? Worte, Sprache. Ihnen wohnte ein Zauber inne, die Macht, Brücken zu schlagen, zu verbinden, zu versöhnen. Zu verhindern. Auswege zu erkennen.
    Warum?
    Warum nur?
    Tausend Jahre verstrichen binnen einer Minute. Alt und grau schleppte Marlis sich aus der U-Bahn und hinauf zum Taxistand. Eine Fahrt mit der S-Bahn war unvorstellbar. Vielleicht wäre sie doch besser noch einen Tag in der Klinik geblieben, wie es die Ärztin ihr geraten hatte.
    Als sie eine Viertelstunde später durch den Vorgarten ging, glaubte sie einen Moment lang, niemals die Kraft aufzubringen, das Haus zu betreten. Doch sie musste, also riss sie sich zusammen, trat ein.
    Der Geruch nach verwesendem Blut und Gewebe lag in der Luft. Sie weigerte sich, diesen Gestank mit ihm in Verbindung zu bringen. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder sprang sie vor die S-Bahn, oder sie lebte weiter. Wenn sie in seinem Sinn handeln wollte, dann musste sie leben. Auch wenn sie nicht wusste, wie das gelingen sollte.
    Sie fühlte sich kalt und fremd in sich, in ihrem Haus, in ihrem Leben. Ohne ihn!

87
    »Stimmt. Die Ruger war frisch geölt. Bring mir das Tuch, und ich kann dir sagen, ob die Flecken von demselben Waffenöl stammen.« Buchholz verabschiedete sich, Dühnfort legte auf.
    Das Tuch hatte er im Haus der Schäfers vergessen. Mist. Er fuhr zurück nach Unterhaching, zog den Schlüssel hervor und trat ein. Den Schal fand er im Wohnzimmer. Dort lagen die Fotoalben noch so, wie Kirsten sie zurückgelassen hatte. Das oberste war aufgeschlagen. Dühnfort blätterte darin. Aufnahmen einer glücklichen Familie. Isa zwischen Oma und Opa, daneben ihre Mutter. Das Foto hatte wohl ihr Vater gemacht, denn er war nicht auf dem Bild. Dühnfort blätterte weiter zurück im Leben von Marlis Schäfer und ihrer Familie. Eine Aufnahme von ihr erweckte seine Aufmerksamkeit. Er nahm sie heraus und steckte sie ein. Auf dem Sideboard stand ein silberner Bilderrahmen mit einem neueren Bild von ihr. Er erinnerte sich an seine Irritation, als er Marlis Schäfer das erste Mal gesehen hatte. Dieses Widersprüchliche, das sie ausstrahlte, das zwischen Kind und Greisin schwankte. Die großen blauen Augen, der puppenhafte Pagenkopf und der helle Teint, in den sich aber die Furchen der Zeit tief eingegraben hatten, ebenso die Verbitterung, die sie älter wirken ließ, als sie tatsächlich war.
    Die Vermutung, die ihn schon den ganzen Tag vor sich her trieb, verstärkte sich. Er wollte Gewissheit, nahm das Bild aus dem Rahmen und steckte es ein. Plötzlich erklangen Schritte. Er spähte in den Flur. Marlis Schäfer kam die Treppe herunter. Sie trug einen türkisfarbenen Rock. Eine Farbe, die ihr ausgezeichnet stand. Offenbar war sie einen Tag früher entlassen worden oder auf eigene Verantwortung gegangen. Als sie ihn entdeckte, fuhr sie zusammen. »Was machen Sie denn hier? Wie kommen Sie überhaupt herein?«
    »Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Mir war nicht klar, dass Sie bereits zurück sind, sonst hätte ich geklingelt. Ich habe einen Durchsuchungsbeschluss. Er liegt seit vorgestern auf Ihrem Küchentisch.«
    »Wonach suchen Sie denn noch? Haben Sie nicht längst das ganze Haus auf den Kopf gestellt?«
    »Es fehlen
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