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Verdammnis

Verdammnis

Titel: Verdammnis
Autoren: Stieg Larsson
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draußen in der Dunkelheit herumlief und sie sich die Kugel besser aufsparen sollte.
     
    Mühsam stand sie auf, humpelte aus dem Holzschuppen und schob die Tür zu. Sie brauchte fünf Minuten, um den Balken wieder vorzulegen. Dann überquerte sie schwankend den Hof, ging ins Haus und entdeckte auf einer Kommode in der Küche ein Telefon. Sie wählte die Nummer, die sie seit zwei Jahren nicht mehr benutzt hatte. Er war nicht zu Hause. Stattdessen sprang der Anrufbeantworter an.
    Hallo. Hier ist Mikael Blomkvist. Ich bin im Moment nicht erreichbar, aber hinterlassen Sie mir Namen und Telefonnummer, dann rufe ich Sie so bald wie möglich zurück.
    Piiiip.
    »Mi…ka…el«, sagte sie und merkte, dass ihre Stimme breiig klang. Sie schluckte. »Mikael. Hier ist Lisbeth.«
    Dann wusste sie nicht mehr, was sie sagen sollte.
    Langsam legte sie auf.
    Niedermanns Sig Sauer lag vor ihr auf dem Küchentisch, zum Reinigen auseinandergenommen, direkt neben Sonny Nieminens P-83 Wanad. Sie ließ Zalatschenkos Browning auf den Boden fallen, wankte an den Tisch und nahm die Wanad in die Hand, um das Magazin zu überprüfen. Sie fand auch ihren Palm und steckte ihn in die Tasche. Danach stolperte sie an die Spüle und ließ sich eiskaltes Wasser in eine ungespülte Kaffeetasse laufen. Sie trank vier Tassen. Als sie den Blick hob, sah sie auf einmal ihr eigenes Gesicht in einem alten Rasierspiegel an der Wand. Vor lauter Schreck hätte sie beinahe einen Schuss abgegeben.
    Was sie da erblickte, erinnerte mehr an ein Tier als an einen Menschen. Sie sah eine dreckverschmierte Wahnsinnige mit verzerrtem Gesicht und aufgerissenem Mund. Ihr Gesicht und ihr Hals waren von Blut und Lehm bedeckt. Sie ahnte, was Ronald Niedermann eben im Holzschuppen gesehen hatte.
    Als sie näher an den Spiegel trat, wurde ihr auf einmal bewusst, dass sie ihr linkes Bein nachzog. In der Hüfte, wo Zalatschenkos erste Kugel sie getroffen hatte, spürte sie einen stechenden Schmerz. Seine zweite Kugel war in ihre Schulter eingedrungen und hatte den linken Arm gelähmt. Doch vor allem der Schmerz in ihrem Kopf war so heftig, dass sie schwankte. Langsam hob sie die rechte Hand und tastete ihren Hinterkopf ab. Da fühlte sie plötzlich den Krater des Einschusslochs.
    Während sie das Loch in ihrem Schädel befühlte, wurde ihr auf einmal mit Schrecken klar, dass sie gerade ihr eigenes Gehirn berührte, also so schwer verletzt war, dass sie sterben musste. Was ihr absolut nicht in den Kopf wollte, war, warum sie überhaupt noch auf den Beinen stand.
    Plötzlich überkam sie eine betäubende Schläfrigkeit. Sie war nicht sicher, ob sie gerade ohnmächtig wurde oder nur einschlief, aber sie tastete sich zur Küchenbank, wo sie sich vorsichtig hinlegte und die rechte - unverletzte - Seite ihres Kopfes auf ein Kissen bettete.
    Sie musste sich hinlegen und Kräfte sammeln, aber sie wusste, dass sie nicht einschlafen durfte, während Niedermann noch irgendwo in der Nähe des Hauses war. Früher oder später würde er zurückkommen. Früher oder später würde es Zalatschenko gelingen, sich aus dem Schuppen zu befreien und das Haus zu betreten, aber sie hatte keine Kraft mehr, sich noch auf den Beinen zu halten. Sie fror. Sie entsicherte die Pistole.
     
    An der Landstraße zwischen Sollebrunn und Nossebro blieb Ronald Niedermann unschlüssig stehen. Er war allein. Es war dunkel. Er konnte wieder vernünftig denken und schämte sich seiner Flucht. Ohne recht zu begreifen, wie das möglich war, kam er zu der logischen Schlussfolgerung, dass sie überlebt hatte. Irgendwie muss sie sich aus dem Loch befreit haben.
    Zalatschenko brauchte ihn. Also musste er jetzt zurück zum Haus und ihr den Hals umdrehen.
    Gleichzeitig hatte Ronald Niedermann aber das Gefühl, dass alles vorbei war. Dieses Gefühl hatte er schon seit geraumer Zeit. Seit Bjurman mit ihnen Kontakt aufgenommen hatte, waren die Dinge immer mehr aus dem Ruder gelaufen. Zalatschenko war wie verwandelt, als er den Namen Lisbeth Salander gehört hatte. All die Regeln der Vorsicht und der Besonnenheit, die er ihm selbst jahrelang gepredigt hatte, existierten plötzlich nicht mehr.
    Niedermann zögerte.
    Zalatschenko brauchte ärztliche Behandlung.
    Wenn sie ihn nicht schon getötet hatte.
    Sie würden ihm Fragen stellen.
    Er biss sich auf die Unterlippe.
    Jahrelang war er der Geschäftspartner seines Vaters gewesen. Es waren erfolgreiche Jahre gewesen. Er hatte Geld beiseite gelegt und wusste außerdem, wo Zalatschenko
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