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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen
Autoren: Tobias Hill
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alt? Ach, uralt. Warum?«
    »Marks Dad ist fünfzig.«
    »Welcher Mark?«
    »Wir waren doch auf seiner Geburtstagsparty, du Dummi!«
    »Ach ja. Ich hab ein Gedächtnis wie ein Sieb. Hast du gut geschlafen? «
    »Mhm. Wir frühstücken gerade. Ich und Sinny. So nenne ich Sunniva jetzt, Sinny, das ist ein Spitzname, wie Zwerglein, aber besser.«
    »Du klingst gar nicht so, als würdest du was essen.«
    »Jetzt gerade nicht. Danach und davor. Warum lachst du?«
    »Nur so. Mami sagt, du willst mit mir sprechen? Du willst mich was fragen?«
    »… Ja, aber ich hab’s vergessen.«
    »Ah ja. Also, ich fand’s schön gestern. Du auch?«
    Keine Antwort. Er hörte sie noch atmen, aber irgendetwas lenkte sie ab. Er verlor sie bereits.
    »Hallo? Hallo, Nessie. Ich will mit dir reden. Hallo? Ich will mit dir reden, Nessie.« Er versuchte, ruhig zu bleiben, und plötzlich war sie wieder da, lauter und viel näher als vorher, wie ein Funkspruch, der durch eine Interferenz dringt.
    »Daddy, gehst du weg?«
    Er hatte es ihr immer wieder gesagt, seit er sich sicher war, dass es sein musste, aber sie schien es nicht zu verstehen. Jetzt bedauerte er fast, dass sie es doch noch begriffen hatte. Er fragte sich, wer es ihr erklärt haben mochte oder ob das Wissen darum die ganze Zeit da gewesen war und nur geschlummert und darauf gewartet hatte, akzeptiert zu werden.
    »Gehst du weg?«
    »Ja. Ja. Wir haben uns doch gestern verabschiedet. Schon vergessen? «
    »Wir verabschieden uns doch immer.«
    »Aber gestern war’s anders.«
    »Das hab ich nicht gemerkt.«
    »Es ist nur für eine Weile. Ist das okay?«
    »Du sollst nicht weggehen.«
    »Ich muss.«
    »Warum?«
    »Wegen der Arbeit.«
    Eine glatte Lüge. War es eine Notlüge? Es war so leicht gewesen, sein Kind anzulügen.
    »Wo fährst du hin?«
    »In eine Stadt, die Athen heißt.«
    »Athen ist ein blöder Name.«
    »Es ist ja nur für kurze Zeit, Schatz.«
    »Wann kommst du wieder?«
    »Im Sommer.«
    »Wann ist Sommer?«
    »Das weißt du doch. Nach dem Frühling.«
    »Ist jetzt Frühling?«
    »Fast«, sagte er. »Fast Frühling.«
    Kein Laut. Ein Auto fuhr durch das Grau vorbei, dann war es wieder still auf dem Platz.
    »Nessie?«
    »Okay. Du kannst fahren.«
    »Ich bin schneller wieder da, als du denkst.«
    »Nein, bist du nicht. Ich geh jetzt.«
    »Moment noch …«
    »Ich muss los. Wir haben’s eilig.«
    »Nessie?«
    Aber sein Kind war schon weg, und nur das Mädchen, das er bald wieder vergessen würde, kam noch einmal ans Telefon und sagte Auf Wiedersehen.
     
Sie waren zu neunt in dem Grillrestaurant. Die Rangniedrigsten waren Modest und Florent, zwei albanische Brüder, die in diesem Winter über die Grenze gekommen waren. Dann folgten aufgrund ihrer kulinarischen Fähigkeiten und ihres Alters Kostandin und Ben. Am Wochenende kellnerten manchmal Herrn Adamidis’ Nichten, um ihr Taschengeld aufzubessern. Adamidis und seine Frau behielten alle im Auge; gemeinsam führten sie das Restaurant seit achtunddreißig Jahren. Die Krone vom Ganzen aber war ihr Sohn Nikos, der Chef der Grillrestaurantkette.
    Kostandin hatte sich Adamidis’ Vertrauen erworben, mehr, als er zugeben wollte. Die Besitzer waren oft unterwegs, geschäftlich oder zum Vergnügen, und dann wurde die Leitung des Betriebs Kostandin übertragen. Er kochte nicht nur, er eilte auch nach vorn, um Gäste zu begrüßen, mit ihnen zu plaudern und dem einen oder anderen ein Glas Drei-Sterne-Weinbrand zu spendieren, wenn zu erwarten war, dass diese Geste später Früchte tragen würde. Die Küchenarbeit und der Großteil der Bedienung blieben, ob Adamidis da war oder nicht, Ben und den albanischen Brüdern überlassen.
    Es herrschte immer viel Betrieb. Das Restaurant füllte sich mittags mit Bauarbeitern und noch einmal spät abends mit Paaren, die nach einem Ecktisch Ausschau hielten, mit trübsinnigen Handlungsreisenden, die zu ihrer einsamen Mahlzeit Zigaretten rauchten, Studenten der nahe gelegenen Hochschule und gelegentlich einer Familie mit Kindern, die Adamidis mit Sirupfrüchten und Pepsi verwöhnte. Ausländer kamen selten nach Metamorphosis, aber das Grillrestaurant brauchte sie auch nicht.
    Es war Knochenarbeit. Ben hatte den Job nur auf Zeit angenommen, als Notlösung, aber so fühlte er sich nicht an. Schon am Ende des ersten Abends hatte er Schrammen und Brandwunden an Händen und Unterarmen. Die Verbrennungen kribbelten und schmerzten, als hätte sich etwas Lebendiges unter den Blasen eingenistet, und sie
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