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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen
Autoren: Tobias Hill
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Winter, Bauarbeiter aus dem Norden, er solle keine Goldgrube erwarten. Aber sein Griechisch würden sie lustig finden, meinte der Onkel, und als alles geklärt war, wollte er noch einmal seine hübschen Nichten sprechen.
    Die Pensionswirtin war enttäuscht von ihm.
    »So schwere Arbeit für so zarte Hände.« Sie beugte sich weit über den Empfangstresen und hob die nachgezogenen Brauen, und er sagte, es sei gute Arbeit, nichts, wofür man sich schämen müsse.
    Als Abschiedsgeschenk zeichnete sie ihm eine Wegskizze auf die Rückseite eines Wahlflyers. Ein X markierte das Grillrestaurant wie einen vergrabenen Schatz. Er ging zum Syntagma-Platz und bestieg den Bus nach Metamorphosis.
    Er war schon dreimal in Athen gewesen, zweimal um einen Vortrag zu halten und einmal zu Ausgrabungen, aber noch nie hatte er sich in die Vororte hinausgewagt. Sie schienen komplett aus Nachkriegsbeton und Glas erbaut zu sein, als sei die Stadt eine reine Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts. Bald schon drohte sich der Motor des Busses zu überhitzen, und der Fahrer stieg aus, um mit dem Schuh die heiße Kühlerhaube aufzuhämmern, während die Fahrgäste murmelnd auf ihren Sitzen hin und her rutschten. Die Fenster waren mit Staub- und Sandpartikeln zugesetzt, und als sie weiterfuhren, baute sich Wärme auf, angenehm zunächst, dann immer unangenehmer und schließlich geradezu beängstigend; die Metallrahmen der Sitze wurden so heiß, dass man sie nicht mehr anfassen konnte. Niemand stieg aus, bis sie am Ziel angekommen waren. In Metamorphosis, so schien es, war selbst ein Bus, der fast schon in Flammen stand, besser als gar kein Bus.
    Als er einen Straßennamen von seinem Plan sah, stieg er aus. Es gab kaum Wegweiser, und er orientierte sich am Licht. Die höhlenartigen Läden rechts und links – alles Tierhandlungen und Traktorgeschäfte – waren groß genug, um die orangen und grünen Traktoren zu beherbergen, so groß, dass sie das Zwitschern der Kanarienvögel und Nymphensittiche zurückwarfen und vervielfachten, als tobten ganze Vogelschwärme durch die Tiefen der Gebäude.
    Er durchquerte einen im Regen menschenleeren Park, nur auf einer Bank neben einem Uhrturm saß eine einzelne Frau, eine Schwarze mit Rastazöpfen, den Kopf in den Händen vergraben. Er erreichte das Restaurant mit einer Stunde Verspätung, und der Besitzer, Herr Adamidis, bedachte ihn mit einem finsteren Blick und schob ihn rasch außer Sicht, ehe die Gäste ihn in Augenschein nehmen konnten.
    In dem Zimmer im ersten Stock roch es nach Männern und Kakerlaken. An der Wand neben der Tür gab es ein Waschbecken, einen Spiegel und den Kalender der griechischen Landwirtschaftsbank. In der Ecke stand eine ausrangierte Fritteuse. Auf dem Boden lagen in größtmöglichem Abstand voneinander vier Matratzen, die Laken in unterschiedlichen Stadien der Zerwühltheit, neben einer ein Koffer, neben einer anderen eine Sporttasche. Auf der Matratze am Fenster lag rauchend ein langgesichtiger Mann. Er sah Ben an, als er hereinkam, und wandte sich dann desinteressiert wieder ab.
    »Du kannst schlafen, wo du willst«, sagte Herr Adamidis mit starkem Akzent und zeigte auf den Mann und die Matratzen. »Wertsachen kannst du mir geben. Wenn du dich frisch gemacht hast, komm runter.« Er musterte Ben von Kopf bis Fuß. »Hast du Wertsachen? Gut. Möchtest du was trinken? Wasser?«
    »Nein, danke.«
    »Okay, schon gut. War nur ein Angebot. Wir sehn uns in einer halben Stunde unten, okay?«
    Die Hand schon auf der Türklinke, musterte er Ben noch einmal flüchtig. Er sah aus, als bedauerte er schon, auf seine Nichten gehört zu haben. Fleischgeruch und Gelächter wehten herein, bevor er die Tür hinter sich schloss.
    Nur eine der Matratzen war nicht von irgendwelchen persönlichen Habseligkeiten umgeben. Er nahm seinen Rucksack ab und legte ihn hin. Die Bettwäsche schien sauber, aber alles war von einem Geruch nach Schweiß und Insektizid durchtränkt.
    Was mache ich hier eigentlich?
    Er hatte England mit kaum einem anderen Wunsch verlassen, als einfach nur wegzugehen. Wohin, war ihm mehr oder weniger egal gewesen, Hauptsache, er brachte Raum und Zeit zwischen sich und das Leben, das er irreparabel beschädigt hatte. Er hatte sich für maximal drei Monate von seinen Verpflichtungen freimachen können, und Athen kannte er, Athen war für seine Kollegen und Freunde ein plausibles Reiseziel.
    Und nun war er hier. Der Schweiß an seinem Rücken erkaltete. Er zitterte förmlich. Das
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