Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Titel: Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
Autoren: Carmen Korn
Vom Netzwerk:
dann frühstücken. Der Kaffee war ohnehin schon kalt.
    Nebenan lief das Klavier zu einem Crescendo auf. Es klang nicht einmal disharmonisch.
    »Apropos Klavierspieler«, sagte Leo. Da war Anni Kock schon in die Küche gegangen.
    Jef Diem sah jünger aus, als er war. Er hatte das lange Zeit kaum zu schätzen gewusst, doch jetzt mit achtunddreißig Jahren erkannte er die Vorteile. Keinem fiel es dumm auf, dass er noch immer den hübschen Jungen am Klavier gab, nicht einmal mehr ihm selber. Die meisten hielten ihn für einen Musikstudenten, der am Anfang einer Karriere stand und nebenbei in Bars spielte. Das erleichterte es ihm, an die eigene Lebenslüge zu glauben und an Anfänge.
    Der Laden, in dem er seit zwei Wochen auftrat, hatte Niveau. Die Leute, die dort verkehrten, kannten nicht nur Strangers in the Night, und noch hatte keiner Yesterday hören wollen.
    Jef fing an, Hoffnung für sein Leben zu schöpfen.
    Hoffnung schöpfen. Eigentlich hatte er damit erst an diesem Morgen angefangen, als er nach wenig Schlaf aufgestanden und zum Fenster gegangen war, um einen Grund zu finden, den Tag zu beginnen. Da hatte er an die Frau auf dem Flügel gedacht. Legte sich die doch einfach auf den Steinway und sang. Here's to Life. Shirley Horn hatte es nicht besser gesungen.
    Jef Diem trank grünen Tee mit Zitronengras an diesem Morgen. Keinen Wodka mit Tomatensaft und Chili, den er sonst für das gesündeste Getränk hielt. Eine Besucherin hatte den Tee dagelassen. Flüchtige Besuche, wie alles flüchtig gewesen war in den letzten Jahren.
    Er war achtunddreißig und sah zehn Jahre jünger aus. Blieb ihm da nicht ein ganzes Jahrzehnt mehr, um es besser zu machen? Jef lachte. Über sein Talent zum Selbstbetrug.
    Sein größtes vielleicht.
    Die Frau auf dem Flügel war alles andere als nur Stimme gewesen, auch wenn diese ihn wirklich beeindruckt hatte. Doch ihm fielen noch weitere Einzelheiten ein. Messingblonde Haare, die sie zusammengeschlungen hatte. Wie eine Krone auf ihrem Kopf. Die sehr helle Haut im schwarzen Kleid. Augen, die skeptisch blickten, während sie von Liebe sang.
    Someone to watch over me. Der alte Song von Gershwin. Den hatte sie auch gesungen. Jef ging hinüber zum Klavier, dessen Holzrahmen verzogen war. Doch es gelang ihm, den Tönen einen weichen Klang zu geben. I hope that she turns out to be someone who watches over me. Jef sang mit heiserer Stimme. Klang nach Chet Baker. Vielleicht sollte er allabendlich singen und eine höhere Gage verlangen. Der Laden würde Furore machen, wenn er sang. Wenn sie sang.
    Er hoffte sehr, dass sie seinem Flügel wieder die Ehre gäbe. Vielleicht heute Abend schon.
    »Zieh doch mal die Nadeln aus den Haaren«, sagte Anni Kock, »sieht ja aus wie ein Mop. Du hättest nicht so ins Bett gehen dürfen mit dem Durcheinander auf dem Kopf.«
    Leo war gegangen. Wenn auch die Zeit der Mittagspause in ihrer Redaktion großzügig bemessen wurde, so doch nicht tageweise, und der Tag war schon fortgeschritten gewesen, als sie sich verabschiedete. Draußen sah es aus wie später Abend, so schwarz waren die Wolken.
    Kein Wetter, das zum Weiterleben anregt, hätte Gustav Lichte gesagt, doch er hatte schließlich achtundachtzig Jahre lang alle Wetter ausgehalten.
    Vera blickte in das antike Glas des Spiegels, der in der Diele hing, und fing an, die Nadeln aus ihren Haaren zu lösen. Einen Augenblick lang hatte sie geglaubt, ihren Vater zu hören, der vom Wetter sprach. Vielleicht sollte sie einen Exorzisten kommen lassen. Hinter ihr ging Anni vorbei. In ihrem alten Regenmantel, Leopard, gechinzt. Ein abgelegtes Teil von Veras Mutter. Anni Kock trug es seit vielen Jahren.
    »Hilft ja nichts«, sagte Anni, »rein in den Regen.«
    »Du kannst gerne bleiben«, sagte Vera. Sie hoffte, dass Anni blieb. Die leere Wohnung ging ihr heute an die Nerven.
    »Muss mich mal um meine eigene Bude kümmern.« Vera hatte schon öfter angeregt, dass Anni eines der acht Zimmer bezog und die eigene Bude aufgab. Vergeblich.
    Bin mit keinem Kerl zusammengezogen und zieh auch nicht zu dir, hatte Anni gesagt. Die kleine Wohnung zwei Straßen weiter war die letzte Verteidigung von Individualität in einem Leben, das sie den Lichtes gewidmet hatte.
    »Gehst du heute Abend aus?«
    Vera war zu sehr in die Betrachtung des eigenen Profils versunken, um zu antworten. Der alte Spiegel zeichnete vieles weicher. Vera wusste um den Betrug, doch sie ließ sich gerade in diesem Augenblick gern darauf ein.
    »Im Kühlschrank
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher