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Venus

Venus

Titel: Venus
Autoren: Elke Buschheuer
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wollte, er würde es tun. Er war ehrgeizig, erfinderisch, ruhelos. Er vertrug das indische Essen nicht, aber er zwang es erbarmungslos in sein revoltierendes Körperchen hinein.
    Als er dreißig war, wurde er von seinem Guru, der in Indien saß und dem verhutzelten Zirkusäffchen aus seiner Vision aufs Haar ähnelte, zum Tempelpräsidenten ernannt und lenkte nun die Geschicke des Hauses.
    Er eröffnete ein vegetarisches Restaurant, ein Yogazentrum, bald ein Hotel. Er entwickelte eine nahezu beängstigende Putzwut, es war, als wolle er sein Innerstes blitzblank von bereits begangenen Sünden schrubben. Seine eingecremte Stimme täuschte. Mit harter Hand führte er seine kleine Gemeinde aus verkrachten Existenzen, was ihm durchaus nicht nur Dankbarkeit einbrachte. Den Gewinn, der sich rasch auf eine halbe Million Dollar jährlich belief, Tendenz steigend, lieferte Toga an den Guru ab.
    Als er vierzig war, begab er sich auf Geheiß seines Gurus mit einem Koffer voller Dollarnoten nach Thailand, um dort Land zu kaufen und einen Tempel zu bauen, einen prachtvollen Tempel, einen Palast ausGold, um Guru und Gott zu erfreuen. Toga, der beseelt davon war, die Botschaft des Herrn zu verbreiten und gefallene Seelen zu retten, der ein religiöser Eiferer und Karrierist geworden war, erwies sich auch für diese Aufgabe als geeignet. Besonders um eine gefallene Seele, ein junges Mädchen, das nicht sprechen konnte, bemühte er sich. Ihre wimpernlosen Augen hinter einer Nickelbrille hingen unentwegt an ihm, ohne zu zwinkern, ihre Lernbereitschaft kam ihm fast wie Hunger vor. Die Erinnerung an die matte dunkle Schwere ihres Haares, an die glatte junge Haut ihrer Mädchenbeine begleitete ihn in die Nacht. Er war erstmals seit fast zwanzig Jahren geil. Am nächsten Tag bat er das Mädchen, fortan Kopftücher und lange Röcke zu tragen. Sie gehorchte, säuberte den Palast, kochte das Essen, schlug die Schellen und sah ihn erwartungsvoll an, ohne Wimpern, ohne Zwinkern, auf weitere Anweisungen wartend.
    Seine italienisch-kleinbürgerliche Halbbildung reichte aus, um den Namen des Mädchen, Cio-Cio-San, als böses Omen zu entlarven. Er assoziierte damit eine hysterische und selbstmörderische Kurtisane aus einer Oper. Weil er noch immer eine heimliche Schwäche für den Katholizismus hatte, taufte er das Mädchen abmildernd auf den Namen Maria Magdalena und ließ ihr eine Sonderbetreuung angedeihen.
    Wenige Wochen später erfuhr er, dass seine Mission in Thailand erfüllt sei. Er verbrachte die ganze Nacht auf Knien, er betete laut, schnell, hastig, unaufhörlich, er betete sieben Stunden pausenlos, aber vor das blaue Gesicht seines Gottes schob sich immer und immer wieder das schlitzäugige Mädchengesicht, den Blick lidschlaglos auf ihn geheftet. Am nächsten Morgen sagte er ihr, dass er abreisen würde, sagte der Weinenden tröstendeWorte über Gott, warf ihr einen letzten langen Blick zu und ging.
    Er ließ sich einen Vollbart wachsen, um sie zu vergessen. Drei Monate später war der Vollbart dicht und schwarz, und er sah zu seiner Zufriedenheit den Heiligen in den Wäldern bereits viel ähnlicher. Da stand sie plötzlich vor ihm, mit Kopftuch, Rock und ebenjenem bittenden Blick. Er wies ihr einen Platz im Hause zu, gelobte sich aber, sie zu meiden. Nach einigen Monaten spürte die Einwanderungsbehörde sie auf und verwies sie des Landes. Toga, der sich eine ganze Nacht mit dem Bliss Swami besprochen hatte, fuhr ihr zum Flughafen nach, holte sie zurück und heiratete sie eine Stunde später, im Rathaus, wo skurrile Paare wie sie im Akkord verheiratet wurden. Er wusste, dass die Vedischen Schriften einen gefallenen Mönch wie ihn einen Kotzefresser nannten. Er gelobte sich, ihr und dem Guru eine reine, sexlose Ehe, eine Mönchs-Nonnen-Ehe, eine rein spirituelle Lebensgemeinschaft mit Gott im Zentrum. Ihr rosenblattförmiger Mund, sie würde ihn nie schminken, er würde ihn nie küssen, das war Teil der Absprache. Es war der von Toga sehr verehrte indische Heilige Ramakrishna, der sagte: »Verlass eine Frau, die dir Hindernisse auf den Weg zu Gott legt. Mag sie sich umbringen und sonst noch tun, was sie will.«
    Weil auf dem Heimweg ein großer Hunger unsere Venus befiel, hat sie, den Ekel überwindend, am Broadway mehrere Hotdogs gekauft und verschlungen. Inzwischen ist sie wieder zurück im East Village, zurück im Goldbrokatzimmer, im Seitengebäude der kleinen Kirche.
    Das Haus ist eine jener typischen New Yorker Verschmelzungen
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