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Venus

Venus

Titel: Venus
Autoren: Elke Buschheuer
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Venus auf den Heimweg macht, Heimweg nach ihrem momentanen Kenntnisstand, während sie also durch die taghelle, dunstheiße Manhattaner Nacht Richtung downtown zurück gen Tempelkirche humpelt, beginnen wir, deren Bewohner mit interessanten Lebensgeschichten auszustatten.
Toga
    Der haarige Zwerg mit der eingecremten Stimme wurde geboren in Little Italy, jenem Stadtbezirk in Manhattan, in dem Ford Coppola den Paten spielen ließ, im Übrigen einen unserer Lieblingsfilme, weshalb wir Toga auch verstärkte Beachtung schenken werden. Er stammt aus einer Familie von italienischen Gastwirten, Kleinkriminellen und nebulösen Gestalten, die man imweitesten Sinne der organisierten Kriminalität zurechnen kann, und stand mit zwanzig Jahren vor der Entscheidung, das Restaurant seines Vater zu übernehmen. Toga war zu diesem Zeitpunkt ein kleiner, drahtiger Frauenheld, stark behaart und trinkfest, der die Bräute seiner Brüder auftrug und einen kleinen, aber schwunghaften Waffenhandel betrieb. Seine Stimme war harsch und hart. Er sprach viel zu schnell, viel zu laut, viel zu viel, war aufbrausend und unkontrolliert, mit jener wild fuchtelnden Gestik der Italiener, er legte sich mit jedem an, stritt, schlug, und da er stets bewaffnet war, kam es auch vor, dass er schoss.
    An einem Sonntag ging er mit irgendeinem Mädchen in den Central Park zum Picknick, sie lief vor ihm in ihrem engen kurzen Kleid und trug einen Weidenkorb mit Chianti und Antipasti. Keine Frau zum Heiraten, dachte er, als er ihren runden Hintern vor sich hinund herschaukeln sah. Nur zum Vergnügen. Aber er freute sich gar nicht auf das Vergnügen. Auch nicht aufs Saufen mit seinen ebenfalls lauten, ebenfalls stark behaarten Brüdern, auf die fabrikneuen glänzenden Waffen, die man ihm heute geliefert hatte, nicht mal darauf, dass er bald Restaurantchef sein würde und Robert De Niro sein Stammgast. Es schien ihm alles so sinnlos.
    Sie hatten ihr Picknick, es wurde dunkel. Alle Paare im Park legten sich nieder. Roberto griff dem Mädchen unter den Rock. Sie wehrte sich. Er wurde wütend und schlug sie. Sie wehrte sich wieder. Er wurde noch wütender und würgte sie. Sie war doch selbst schuld, sie hatte ihn angemacht mit ihrem kurzen Kleid. Kein anständiges Mädchen trägt so ein Kleid. Sie wehrte sich nicht mehr. Sie war tot. Eine dumme Kuh weniger, dachteer, stand auf, klopfte sich die Hose sauber und wollte gehen.
    Doch dann traf ihn ein Lichtstrahl geradewegs ins Hirn. Ein Inder erschien ihm, wie aus dem Boden gestampft. Er war uralt, braun wie geröstete Mandeln, verhutzelt wie ein Zirkusäffchen, aber vollkommen haarlos. Er schwebte in einer gleißenden Lichtwolke über der Wiese. »Du bist auf dem falschen Weg, Roberto«, sagte er. Roberto traute seinen Augen und Ohren kaum. Die nackten Füße des alten Inders berührten den Boden nicht. »Komm mit mir, lerne Demut, ergib dich Gott, sei der Diener des Dieners, und du wirst frei sein.«
    Frei sein, das war das Verlockendste, das Roberto je vernommen hatte. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass das die Lösung für alle seine Probleme war, und zog noch am selben Tag in einen der vielen Hare-Krishna-Tempel ein, die in jenen Tagen wie Pilze aus dem steinharten New Yorker Boden wuchsen.
    Roberto schor sich den Kopf, legte seinen Mafioso-Anzug ab und hüllte sich fortan in jene weißen Laken, die ihm rasch zu seinem neuen Namen verhalfen. Er sprach seit seiner Erleuchtung sanft und leise, lebte weiterhin in Manhattan, ging aber niemals wieder nach Little Italy (»in die Dunkelheit«, wie er sagte) und wurde von seiner Familie, die ihn erfolgreich aus den Ermittlungen der Polizei heraushalten konnte, zur Persona non grata erklärt. Ein Jahr später legte er das Mönchsgelübde ab, gelobte also Keuschheit bis ans Ende seiner Tage.
    Trotz seiner plötzlichen Wandlung vom Saulus zum Paulus bleib Toga auf beeindruckende Art und Weise derselbe. Er hatte zwar die Seiten gewechselt, hatte dieKnechtschaft der Lebenszwänge gegen die Knechtschaft der Glaubenszwänge getauscht. Er war zwar nun angetrieben vom unbeugsamen Willen, der eigenen Natur zu widersprechen, anstatt ihr zu dienen, aber die genetische Disposition zum Killer war nach wie vor da. Sie war nach seinem Maßstab zu etwas Gutem geworden. Er würde immer noch töten, nur eben für Gott. Er würde immer noch kriminell sein, nur eben für Gott. Er sah sich als Soldat Gottes, machte eine militärische Karriere in den Heerscharen des Herrn. Was immer Gott
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