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Venus

Venus

Titel: Venus
Autoren: Elke Buschheuer
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nicht viel vormachen kann. »Stimmt’s?«
    »Kümmre dich um deinen … Mönchskram«, faucht sie und steht auf.
    Ein Plan muss her, denkt sie. Ich muss etwas unternehmen, jetzt, jetzt gleich, sofort, muss rausgehen, muss durch Manhattan laufen, nach Informationen suchen, nach Erinnerungen suchen. Der Fahrstuhl kommt nicht. Sie läuft die Treppen hinunter, mit immer noch brennenden Füßen in ihren Fünf-Dollar-Schuhen, im rotenKleidchen, mit wehendem weißblondem Spaghettihaar, sie nimmt zwei Stufen auf einmal. Im Dauerlauf überquert sie die Straße, läuft fast in ein Auto, stößt gegen Passanten, entschuldigt sich, rennt weiter, erreicht schließlich atemlos den Park.
    Bis zum Abend sitzt sie auf einer Parkbank und starrt vor sich hin. Bei Anbruch der Nacht sitzt sie immer noch mit gefurchter Stirn und beißt sich auf die farblosen Lippen. Immer wieder setzen sich andere auf die Bank, um auszuruhen, Kaffee zu trinken, zu plaudern, zu streiten, zu küssen.
    Einmal sitzt ein junger Mann neben ihr auf der Bank. Ein Mädchen kommt vorbei. »Hi Marty«, ruft sie erfreut und küsst ihn andeutungsweise auf beide Wangen. »Wie geht es dir?«
    »Es geht mir schlecht. Tiffany hat mich verlassen. Ich falle in dieses Loch. Und ich falle und falle, und es geht immer tiefer. Und ich habe eigentlich keine Angst, aber das Fallen hört nicht auf. Ich weiß nicht weiter.«
    »Na dann«, sagt sie und küsst ihn nochmals andeutungsweise auf beide Wangen. »Ich muss. Lass es dir gut gehen! Und grüß Tiffany!«
    Das Mädchen geht in die eine Richtung, der junge Mann schleicht in die andere. Venus ist wieder allein. Wenn kümmert schon, wie es anderen geht, denkt sie. Wen interessiert das schon? Wer vermisst einen Menschen, wenn er plötzlich weg ist. Vermisst sie jemand? Wer würde Marty vermissen?
    »Alles in Ordnung, Mam?«, sagt jemand. Sie sieht auf. Ein Cop steht vor ihr, ein junger stiernackiger Bursche mit neugierigen Murmelaugen.
    »Ich … ja, alles in Ordnung«, sagt sie. Der Officermustert sie einen Moment. Dann tippt er an seine Mütze und läuft weiter. Sie wartet, bis er verschwunden ist, und steht dann auf. Langsam, mit zierlichen Schritten, läuft sie zurück.
    Wir finden es unterdessen an der Zeit, etwas Pfeffer ins Geschehen zu werfen.

2     Beichtgeheimnis
    Das geschieht am nächsten Morgen, als sich unsere Venus im Grocery Store auf der Avenue B Ecke 5. Straße einen Kaffee holt. Sie wird schon genügsam. Es muss nicht mal mehr Espresso sein. Beim Hinausgehen bleibt ihr verschlafener Blick an einer der Zeitungen hängen, die wir stapelweise vor die Tür des Grocery Store gelegt, ihr mitten auf der Straße praktisch vor die Füße geworfen haben. MORD IN MIDTOWN titelt die New York Post. Darunter steht: »Millionenerbe erstochen! Tatverdächtige flüchtig!« Und ein Foto von einer Frau.
    Unsere Venus ist schon fast einen Block weiter gelaufen in Richtung Tempelkirche, bevor sie wie vom Donner gerührt stehen bleibt, sich umdreht und zurücklaufen will. Das Blut schießt ihr doppelt so schnell wie sonst durch die Adern, ins Gesicht, in Wangen und Stirn, bis in die Haarwurzeln, als sie begreift: Auf dem Foto, das ist sie! Sie muss zurücklaufen, sich vergewissern, eine Zeitung kaufen. Nein, nein. Sie braucht nicht zurückzulaufen. Sie kann nicht zurücklaufen. Das Risiko ist zu groß. Das ist sie auf dem Foto.
    Irgendwie gelangt sie zurück in ihr Zimmer. Da sitzt sie nun, in heller Aufregung, auf ihrem schief und krumm zusammengezimmerten Bett, und kaut den Perlmuttlackvon ihren Nägeln. Dann steht sie auf, läuft ein paar Schritte, dreht sich um, läuft zurück, setzt sich wieder aufs Bett. Ein Königreich für einen Freund, denkt sie. Ich muss aus meinem Versteck kommen, denkt sie. Zur Polizei. Alles aufklären. Eine Verwechslung. Das ist bestimmt eine Verwechslung.
    Sie braucht einen Anwalt! Bestimmt hat sie einen Anwalt! Vielleicht steht das in der Zeitung. Sie braucht die Zeitung, sie braucht diese Zeitung, jetzt gleich. Aber sie kann jetzt nicht raus. Jeder könnte mit dem Finger auf sie zeigen, da ist sie, die Mörderin, die Millionenerben-Mörderin. Der Zeitungsverkäufer wird sie erkennen. Der Polizist aus dem Park wird sich erinnern. Der Uhrenverkäufer! Vielleicht ist eine Belohnung ausgesetzt. Jetzt, in diesem Moment, hat er vielleicht schon ihr Foto in der Zeitung gesehen und 911 angerufen. Er wird sie beschreiben, das weißblonde Spaghettihaar, das flammend rote Kleid.
    Sie läuft zum
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