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Venice Beach

Venice Beach

Titel: Venice Beach
Autoren: P Besson
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an nichts als eine riesige Maskerade gewesen war, um mich milde zu stimmen? Eine Heuchelei, um seine Haut zu retten? Ein außergewöhnlicher Trick? Man schläft mit dem Polizisten, der einen Mord aufklären soll, den man begangen hat. Dieser wird aus Anhänglichkeit oder aus Angst vor einem Skandal schweigen. Das war ziemlich raffiniert. Ich konnte nicht verhindern, dass mir dieser Gedanke durch den Kopf ging. Heute bedaure ich es. Dieser Sekundenbruchteil, in dem ich zögerte, ist der einzige Kratzer an dem, was uns einte, der einzige Fleck.
     
    Dann fast sofort die Gewissheit.
    Er hatte mich nicht getäuscht, er hatte mich nicht benutzt. Das, was uns passierte, ist zu unbegreiflich, um vorher beschlossen, bedacht, organisiert gewesen zu sein. Unsere Geschichte entzog sich der Vernunft, der Berechnung.Sie war nicht das Produkt einer Strategie, das Ergebnis eines Manövers. Es war eine unbestreitbare, unwiderruflich feststehende Wahrheit. Eine glühende, fürchterliche Leidenschaft wie diese vertrug sich nicht mit Kälte, mit Kalkül. Sie war absolut unvereinbar mit irgendeinem Vorsatz.
     
    Schließlich der Entschluss.
    Schwindelerregend.
    Wirklich schwindelerregend.
    Der Entschluss, diese Schuld auf mich zu nehmen, das Verbrechen anzuerkennen, es ohne Vorbehalt, ohne Diskussion zu akzeptieren. Der Entschluss, Jack vor allem zu beschützen, das ihn verraten, das ihm schaden könnte. Der Entschluss, sein Komplize zu werden. Ja, blitzartig habe ich die Wahl getroffen, gegen alle meine Prinzipien, alle meine Pflichten zu handeln. Ich bin in das andere Lager gewechselt. Und zum ersten Mal war es nicht das gute.
     
    Nur, es ist eine schwierige Sache, die Sache mit dem guten und dem schlechten Lager. Eine Frage der Perspektive. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl gehabt, eine schlechte Wahl zu treffen. Ich hatte soeben eine Grenze überschritten, und man würde mir das vorwerfen, und ich dachte: Wenn ich auf der anderen Seite bleiben würde, könnte ich keinesfalls weiterleben.
     
    Jack hat seinen Kopf in die Mulde meiner Lenden gelegt, als sei er meinem Gedankengang gefolgt. Ich streichelte sein Haar. Die Sonne warf weiter eine Lichtlache auf den Parkettboden. Von nun an würde ich mit einem Mörder schlafen.

 
    Wir sind auf das Hoteldach geklettert. Dort gab es eine Terrasse, auf die ich mich gern zurückgezogen habe, als ich noch nicht erwachsen war. Ich wurde dort nie gestört, die Gäste bevorzugten den Sandstrand. Man hatte sie hübsch hergerichtet, sie eröffnete den Blick auf die Dächer der umliegenden Häuser und auf das Meer. Sie roch nach Eukalyptus, ich kannte den Duft, ebenso wie den der Bougainvillea, meine Mutter hatte mir beides beigebracht. Wenn es Abend wurde, ist meine Mutter hochgekommen und hat nach mir gesucht, immer sie. Sie wunderte sich nicht über die langen einsamen Stunden, die ich dort verbrachte. Auch nicht über mein Nichtstun. Seit dem Tod meiner Schwester und meines Vaters ließ sie mich in Ruhe.
     
    Diese Terrasse betreten bedeutete, an die behüteten Stunden der Jugend anzuknüpfen. Jack ist mir, ohne Fragen zu stellen, dorthin gefolgt. Wir stützten uns mit den Ellbogen auf die Brüstung, und er erzählte mir mitten in einer milden Juninacht die Geschichte, die Geschichte, die zum Mord an einem jungen Prostituierten führte.
     
    Wie sie sich begegnet waren, wusste ich. Er hatte mir die Einzelheiten berichtet. Was ich nicht wusste, war, wie es weiterging: Jack und Billy hatten sich unter vier Augenwiedergesehen. Anfangs war es nur ein kleiner Handel. Aber Billy ist nach und nach auf den Geschmack gekommen. Ihm gefiel es, durch Hintertüren eingelassen zu werden, sich im noblen Haus eines Filmstars aufzuhalten, sich Whisky einzuschenken, sich in luxuriöse Sofas zu flegeln, sich am Rand des Swimmingpools in der Sonne zu aalen, sich mit der Haushälterin anzufreunden, und Jack hatte nichts dagegen, er ließ ihn gewähren, witterte keine Gefahr, zog keine engere Beziehung in Betracht. Es war nicht weiter schlimm, das Leben seiner Freunde war voll solcher Schmarotzer, die sich für die Könige der Welt hielten und die man von heute auf morgen fortjagte, wenn sie aufhörten, unterhaltsam zu sein oder lästig wurden. Außerdem war Billy ein anbetungswürdiger Junge, mit seiner kindlichen Bewunderung und dem Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung im Gepäck. Gewiss, manchmal schien er nicht ganz zurechnungsfähig: Er hatte Wutanfälle, unvorhergesehen heftige Ausbrüche,
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