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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung
Autoren: Nicolas Remin
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Zolli identifizieren lassen?
    Tron spürte, wie sich sein Magen plötzlich umdrehte.
    «Ist alles in Ordnung, Alvise?» Die Stimme der Principessa klang besorgt.
    Nein, nichts war in Ordnung.
    «Ich habe Beust verraten, wie das Mädchen heißt, das  Calderón identifizieren sollte», sagte Tron tonlos. «Er weiß, wo sie wohnt.»
    «Du meinst …» Die Principessa starrte ihn an.
    Tron nickte. «In diesem Nebel brauchen wir mindestens  zwanzig Minuten.»

50

    Er hatte ein Feuerchen im Herd entzündet und sich aus ein paar vergammelten Bohnen Kaffee gemacht. Jetzt saß er am Küchentisch, die Beine gemütlich auf den Tisch gelegt, und nippte an seiner Tasse. Es war so wie früher – nun, nicht ganz so wie früher, weil es sie nicht mehr gab und ein paar andere Leute auch nicht. Aber mit ein bisschen Phantasie (und er hatte ziemlich viel davon) konnte er sich einbilden, dass sie drüben im Schlafzimmer lag – und auf ihn wartete.

    Wie lange war es her, dass sie auf ihn im Schlafzimmer  gewartet hatte? Er dachte kurz nach und stellte fest, dass eine solche Situation nicht länger als ein halbes Jahr zurücklag. Richtig, es war Mai gewesen, als ihn dieser Brief im Danieli erreicht hatte. Der Brief mit Photographien, die an Eindeutigkeit nicht zu übertreffen waren und der eine Rechnung enthielt, die man nur als unverschämt hoch bezeichnen konnte – speziell, wenn man berücksichtigte, dass er diese Photographien nicht bestellt hatte, nein, wirklich nicht.
    Das alles war schlimm gewesen, aber er hatte damit leben können – jedenfalls solange er davon überzeugt gewesen war, dass sie ihn noch liebte und nur unter Zwang gehandelt hatte. Richtig schlimm wurde es erst, als er begriffen hatte, dass sie ihn nicht mehr liebte – ihn vielleicht nie geliebt hatte. Diese fürchterliche Möglichkeit war schließlich zu einem reißenden Strom geworden, in den alle seine Gedanken mündeten.
    Als er erfuhr, dass sie offenbar die Absicht hatte, ihn wegen seiner Erpressungsabsicht bei Maximilian zu verpetzen – dieser widerliche Pucci hatte ihn alarmiert –, musste er handeln. Hätte sich seine Liebe in Gleichgültigkeit oder in Verachtung verwandelt, wäre vermutlich eine andere Lö sung denkbar gewesen. Nur war genau dies nicht geschehen. Seine Liebe zu ihr schien mit jedem Brief, den er an sie richtete, stärker geworden zu sein, und schließlich hatte er begriffen, dass er sie töten musste, um sie nicht zu verlieren.
    Und diese Tat war wie ein Stein gewesen, den man ins  Wasser wirft – der erst einen Kreis zieht, dann einen zweiten und danach einen dritten. Dass alle seine Kommandounternehmen schließlich mit der Perfektion eines Schwei zer Uhrwerks abschnurrten, hatte ihn selbst am meisten  erstaunt – wahrscheinlich, dachte er, lag es daran, dass er nichts mehr zu verlieren hatte, jedenfalls nichts, an dem ihm wirklich etwas lag.
    Er seufzte und ließ seinen Blick über die Tischplatte  schweifen, auf der sich außer einer Kaffeetasse und seinen Handschuhen auch sein Revolver befand. Die Tür zum Schlafzimmer stand auf, und er sah die Beine und den  Oberkörper des Mädchens. Wenn er mit dem Stuhl nach  hinten kippte, konnte er auch ihren Kopf erkennen, zur  Seite gefallen, die Wange von einem Schwall blonder Haare verdeckt, den Mund leicht geöffnet.
    Ein Kissen, dachte er, auf ihr Gesicht gedrückt, würde  ausreichen. Dass die Zeugin, die Pater Calderón morgen  identifizieren sollte, einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, änderte nichts daran, dass der Fall abgeschlossen war.
    Niemand würde stutzig werden. Diese Stadt war voller gemeingefährlicher Irrer. Und einer von ihnen war ihr zufällig bei Nebel begegnet. Gewissermaßen auf der Suche nach einem Häppchen.
    Sie hatte noch geatmet, als er die Hände von ihrem Hals nahm, aber irgendetwas hatte ihn davon abgehalten, ihr an Ort und Stelle den Rest zu geben. Jedenfalls war es kein Problem gewesen, sie durch die leere Kirche und dann durch die neblige Dunkelheit hierher, in die Wohnung am Rio della Verona, zu tragen.
    Weshalb er sie am Leben gelassen hatte, war ihm nicht  ganz klar – irgendwie schien es klüger zu sein, sie hier zu töten und nicht in dem kleinen Hof hinter Santa Maria Zobenigo. Es war keine bewusste Entscheidung gewesen, sondern eine spontane, aus dem Instinkt heraus erfolgte. Aber er hatte in den letzten drei Wochen eine ganze Reihe von  instinktiven Entscheidungen getroffen, und jede davon hatte sich als richtig erwiesen –
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