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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung
Autoren: Nicolas Remin
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gehalten, sich ein besonders raffiniertes Versteck auszudenken – in der Schublade des Nachttisches, nur äußerst nachlässig verdeckt von einem Exemplar der Gazzetta di Venezia. Das Problem war, dass der Umschlag nur eine einzige Photographie enthielt. Was nichts anderes bedeutete, als dass Pater Calderón den größ ten Teil der Photographien an einem anderen Ort aufbewahrte – Tron schätzte, dass es mindestens noch ein halbes Dutzend gab. Möglicherweise waren sie bereits im Besitz von Bischof Labattista in Rom. Allerdings, dachte Tron, war es höchst unwahrscheinlich, dass die heilige Kirche es wagen würde, die Photographien unter diesen Umständen noch gegen Maximilian zu verwenden.
    Was Beust genauso zu sehen schien, denn er nahm die  Mitteilung, dass der Umschlag, den Tron ihm überreichte, nur eine einzige Photographie enthielt, gleichmütig entgegen.
    «Wie geht es jetzt weiter?» Der Kapitänleutnant wedelte mit dem Umschlag in Richtung Calderóns Leiche.
    «Sergente Bossi wird Dr. Lionardo holen», sagte Tron.

    «Dann wird die Leiche ins Ognissanti gebracht. Dort kann Pater Calderón morgen früh, bevor die Sektion vorgenommen wird, identifiziert werden.»
    Beust runzelte die Stirn. « Identifiziert werden? Dieser Mann ist Pater Calderón. Warum wollen Sie ihn noch identifizieren lassen? Und wer soll ihn identifizieren?»
    «Ich sagte Ihnen doch, es gibt jemanden, der ihn in der Wohnung von Anna Slataper gesehen hat.»
    «Dieser ominöse Zeuge?»
    Tron nickte. «Eine Zeugin. Ein junges Mädchen, das unter Schock stand und nicht in der Lage war, Pater Calderón zu beschreiben. Aber ich denke schon, dass sie ihn jetzt für uns identifizieren kann.»
    «Wird das nötig sein?» Der Kapitänleutnant schien über  diese Mitteilung irritiert zu sein.
    «Es ist Teil des normalen Verfahrens», erklärte Tron.
    «Meinen Sie die kleine Meisterdiebin, die González den  Schlüssel abgenommen hat? Wie war noch ihr Name?»
    «Angelina Zolli. Ihr Name ist aus Sicherheitsgründen nie erwähnt worden. Sie wohnt beim Küster von Santa Maria Zobenigo. Wir bitten sie morgen ins Ognissanti. Womit der Fall abgeschlossen wäre.»
    Beust bedachte Tron mit einem gequälten Lächeln.
    «Wenn Sie es denn für nötig halten.» Als er seinen linken Arm auf den Tisch stützte, verzog er das Gesicht.
    «Soll Bossi Sie zur Gondel bringen, Herr Kapitänleutnant?»
    Die Antwort kam schnell, fast feindselig. «Das war nur  ein Streifschuss», sagte Beust knapp. «Sie vergessen, dass ich Soldat bin, Commissario.»
    Er bückte sich nach seinem Revolver, schob den Siche rungshebel zurück und verstaute die Waffe wieder unter  seinem Radmantel. Dann warf er einen zufriedenen Blick  auf Calderón, der immer noch, den Kopf und den Oberkörper vom Tischtuch bedeckt, auf dem Boden lag.
    «Aus der Tasche heraus und ohne zu zielen mitten ins  Herz», sagte Beust selbstgefällig. «Das wird den Erzherzog beeindrucken.»

47

    Als Tron zwei Stunden später Dr. Lionardo und den beiden Sargträgern zum Rio Madonna dell’Orto folgte, hatte sich der Nieselregen in zähen, kompakten Nebel verwandelt.
    Dr. Lionardo hatte, wie erwartet, nach kurzer Untersu chung Bossis Vermutung bestätigt, dass Calderóns Tod innerhalb weniger Sekunden eingetreten sein musste – der Schuss des Oberleutnants hatte den Pater tatsächlich mitten ins Herz getroffen.
    Wieder sah Tron – ein Anblick, der ihm inzwischen allzu vertraut geworden war –, wie die beiden Sargträger ihre Last auf eine Gondel verluden, die sich kurz darauf lautlos von den fondamenta löste. Ein paar Sekunden später hatte der Nebel sie verschluckt, und Tron fragte sich, was ihn daran hinderte, die angemessene Befriedigung über das Ende des Falls zu empfinden.
    Sicher, das verwirrende Kaleidoskop, das ihn die letzten zwei Wochen in Atem gehalten hatte, weil es immer neue, überraschende Konstellationen hervorgebracht hatte, war nun zum Stillstand gekommen. Es passte jetzt alles zusammen, fügte sich nahtlos ineinander wie die Teile eines  komplizierten, präzise zugeschnittenen Puzzles. Aber irgendetwas störte Tron in dem Bild, das die zusammengefügten Teile ergaben.
    Das Geld fiel ihm ein, das Maximilian ihm in Aussicht  gestellt hatte und auf das nun – so wie die Dinge lagen –  sicherlich nicht mehr zu hoffen war. War es das, was ihn irritierte? Nein, dachte Tron, das Geld war es nicht. Schon eher der befriedigte Blick, den Beust auf die Leiche Calderóns geworfen hatte, und
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