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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung
Autoren: Nicolas Remin
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Alvise.»
    Tron zuckte mit den Achseln. «Bezeichne Napoleon,  wie du willst. Jedenfalls ist Paris eine Weltstadt, was man von Venedig nicht behaupten kann. Es war nicht leicht für Maria, sich wieder an die Enge hier zu gewöhnen.»
    «Willst du damit andeuten, dass ich ihr zu provinziell  bin?»
    «Maria ist viel zu taktvoll, um dergleichen auch nur anzudeuten.»
    «Aber du kannst ihre Gedanken lesen.»
    «Das ist gar nicht nötig. Um zu verstehen, dass Maria mit der Heirat zögert, ist es völlig ausreichend, dich reden zu hören.»
    «Soll das heißen, dass ich daran schuld bin, wenn sie dich nicht heiraten will?»
    «Ich könnte mir vorstellen, dass du in ihren Erwägungen eine Rolle spielst.»
    Das Lächeln, das die Contessa über den Tisch schickte,  hätten die Steinmetze von Stonehenge nicht besser meißeln können. «Wenn du dich da mal nicht über ihre wahren Beweggründe täuschst.»
    «Ich glaube nicht, dass mich deine Spekulationen über  ihre wahren Beweggründe interessieren.»
    «Die Principessa ist jung, und sie ist schön», sagte die Contessa langsam. «Und bei ihrer Tätigkeit, in der sie so aufgeht, hat sie in der Regel mit Männern zu tun.» Sie lehnte sich kampfbereit über den Tisch. «Oder sehe ich das falsch?»
    «Das siehst du richtig.»
    «Nun, vielleicht zögert sie deshalb mit der Heirat, weil sie inzwischen die Bekanntschaft …»
    Tron erhob sich so abrupt, dass er hart gegen den Tisch stieß. Seine Kaffeetasse kippte um, und ihr Inhalt ergoss sich auf die Tischdecke, während hinter ihm plötzlich die Tür  ging und eine leicht aufgeregte Stimme sagte: «Conte  Tron?»
    Tron fuhr herum und erblickte Alessandro auf der  Schwelle zum Gobelinzimmer. Neben ihm stand ein uniformierter Mann, und weil er ihn nicht erwartet hatte,  dauerte es ein paar Sekunden, bis Tron Sergente Bossi erkannte.
    Der hatte einen roten Kopf, drehte aufgeregt den Helm  in seinen Händen und warf scheue Blicke auf die Gobelins an den Wänden. «Es tut mir Leid, ich …» Der Sergente brach den Satz ab und wischte sich mit dem Handrücken
    über die Stirn, die jetzt wie ein Positionslicht leuchtete.
    Tron musste unwillkürlich lächeln. «Was gibt es, Sergente?»
    «Eine Frau.» Die beiden Silben tropften zäh wie Sirup  von Bossis Lippen.
    «Was ist mit der Frau?»
    «Sie liegt in einer Wohnung am Rio della Verona,  Commissario.»
    «Und?»
    «Die Nachbarn haben sie gefunden.»
    «Reden Sie weiter, Sergente.»
    «Sie wurde erstochen.» Bossi atmete rasselnd, so als wäre er soeben selbst Opfer eines Mordanschlags geworden.
    Tron hob eine Augenbraue. «Haben Sie Dr. Lionardo  schon benachrichtigt?»
    Bossi nickte. «Er müsste bereits auf dem Weg sein.»
    «Ist meine Gondel unten?» Womit selbstverständlich die  Polizeigondel gemeint war, denn die Gondel der Trons war in der Regel der Contessa vorbehalten.
    Sergente Bossi nickte stumm.
    Tron setzte sich in Bewegung. «Alessandro?»

    Aber der stand schon bereit und trat Tron einen Schritt entgegen. Über dem linken Arm hielt er den Gehpelz, in der rechten Hand Trons Zylinderhut und seinen Spazierstock aus Ebenholz – ein Geschenk der Principessa, ohne das Tron nie aus dem Haus ging.  Die Contessa blickte nur kurz auf, als Tron die sala degli arazzi verließ. Dann streckte sie die Hand nach dem Grappa aus. Der verschüttete Kaffee hatte einen braunen Fleck auf der Tischdecke hinterlassen, der aussah wie geronnenes Blut.

5

    Kurz vor ein Uhr stieg die Principessa an der Westseite der Sacca della Misericordia aus ihrer Gondel und befahl dem Gondoliere zu warten. Es regnete kaum noch, aber mit dem Nachlassen des Regens war auch der Nebel zurückge kehrt. Er hing dicht und unbeweglich über dem Wasser  und machte alles, was mehr als zwanzig Schritte entfernt war, praktisch unsichtbar – ein Effekt, den die Principessa unter diesen Umständen begrüßte.
    Bevor sie den Palazzo Balbi-Valier verließ, hatte sie darauf geachtet, sich möglichst unauffällig anzuziehen. Sie trug ein braunes, am Hals durch eine Spange zusammengehaltenes Cape, darunter ein schlichtes Wollkleid. Ein Kopftuch verdeckte ihr Haar und einen Teil ihres Gesichts. Zwar hatte der kurze Brief sie nicht ausdrücklich um Diskretion gebeten, aber sie hielt es für besser, kein Risiko einzugehen.
    Wie lange hatten sie einander nicht gesehen? Die Princi pessa überlegte kurz und stellte fest, dass seit seiner überstürzten Abreise aus Paris vier Jahre vergangen waren. Sie hatten sich
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