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Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Titel: Vater, Mutter, Tod (German Edition)
Autoren: Siegfried Langer
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Jungen. Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
    Im Türrahmen zur Wohnküche tauchte René auf. Den Anzug hatte er bereits abgelegt und trug jetzt eine dunkelgraue Jeans und ein mintfarbenes Poloshirt, darüber eine Kochschürze mit der Aufschrift ›Kiss the Cook‹.
    Nachdem Lukas seine Mutter wieder losgelassen hatte, wandte sich Jacqueline ihrem Mann zu.
    Er küsste sie auf die andere Wange.
    »Das Essen ist gleich fertig. Ich habe es eben noch mal auf den Herd gestellt.«
    »Es riecht jedenfalls sehr lecker.«
    René schnupperte an Jacqueline.
    »Du aber auch. Ähm, ist das Sekt?«
    Jacqueline strahlte ihn an: »Champagner!«
    »Was hattet ihr denn zu feiern?«
    »Rate mal«, wiederholte sie die Worte, die sie auch zu ihrer Mutter gesagt hatte.
    Auch René fiel es nicht schwer, die Lösung zu finden.
    »Das ›Le Mirage‹!«
    Jacqueline nickte.
    Renés breites Lächeln, das sie liebte, seit sie ihrem Mann das erste Mal begegnet war, belohnte sie.
    »Ich freue mich so sehr für dich, Jacqueline!«
    Er vergaß, dass er eine Schürze trug, und drückte Jacqueline an sich.
    »Ist das das große Haus am Flughafen, von dem du mir erzählt hast?«, mischte sich Lukas ein.
    »Ja«, sagte Jacqueline und tätschelte ihm über sein blondes Haar.
    »Zeigst du mir die Flugzeuge?«
    »Ja klar zeige ich dir die Flugzeuge. Aber nächstes Wochenende – wenn die Mama nicht zu Hause ist – gehst du erst mal mit dem Papa auf den Rummel. Das hatten wir dir doch versprochen.«
    »Au ja«, strahlte Lukas, »auf den Rummel.«
    Wieder spürte Jacqueline dieses Glücksgefühl, dieses tiefe, seligmachende Glücksgefühl.
    Sie genoss, wie es ihren ganzen Körper durchspülte, für zwei, drei Sekunden.
    »Aber jetzt muss ich erst mal Mutter anrufen. Ich habe sie heute Mittag aus den Augen verloren.«
    Mit der Farbe im Gesicht ihres Mannes verschwand auch ihr Glücksgefühl.
    »Wen willst du bitte anrufen?!«
    René sah sie völlig entgeistert an.
    »Mutter! Wir waren in meiner Mittagspause im Lafayette. Plötzlich war sie verschwunden.«
    »Was macht sie denn in Berlin? Sie hat mir gar nicht Bescheid gegeben, dass sie in der Stadt ist.«
    »Nicht deine Mutter. Meine Mutter!«
    »Wie, deine Mutter?«
    »Was ist denn daran so schwer zu verstehen? Ich war mittags mit meiner Mutter zum Shoppen verabredet. Ist doch nicht das erste Mal.«
    René wandte sich an seinen Sohn.
    »Gehst du bitte noch mal kurz auf dein Zimmer?«
    »Aber ich dachte, wir wollten jetzt essen, Papa.«
    »Das ist noch nicht ganz heiß. Geh doch bitte hoch und such das Bilderbuch von der Bärenfamilie, die auf den Rummel geht. Dann können wir es nach dem Essen zusammen anschauen.«
    »Also gut«, sagte Lukas und lief zur Treppe.
    Als er außer Hörweite war, stellte René seine Frage ein weiteres Mal.
    »Wen willst du bitte anrufen?«
    Er versuchte, mit der Handfläche die Stirn seiner Frau zu berühren. Sie wehrte ab.
    »Was soll das? Ich habe doch kein Fieber. Was ist so Besonderes daran, dass ich meine Mutter anrufen will?«
    René nahm seine Frau bei der Hand und führte sie an den Esstisch.
    Sie setzte sich.
    Jacquelines Hand in der seinen haltend, nahm René neben ihr Platz.
    »Jacqueline, ich habe keine Ahnung, ob es der Champagner ist. Oder die Überarbeitung. Oder die Euphorie wegen des Hotels.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
    »Jacqueline, deine Mutter ist bereits vor zwei Jahren gestorben.«

2. Kapitel
    Sechs Tage vor der Katharsis
     
    D ie Frau sog intensiv an ihrer Zigarette.
    Der inhalierte Rauch verscheuchte für einen Augenblick die Kälte, die sie trotz der Hitze des Sommertages verspürte.
    Unbarmherzig kehrte die Kälte bereits beim Ausatmen wieder zurück.
    Die Frau starrte auf den knapp einen Meter hohen Jägerzaun, der – nur wenige Schritte entfernt von ihr – einen unbefestigten Pfad vom Garten eines Einfamilienhauses trennte.
    Die gleichmäßige Anordnung und die immer identische Größe der Rauten wirkten beruhigend auf sie. Sie erkannte, dass das geometrische Muster Ordnung schuf, eine Ordnung, die ihre Gedanken dringend benötigten.
    Doch dann verschwamm der Zaun vor ihren Augen und gleichzeitig erhielt das Chaos in ihrem Kopf wieder Oberhand. Sie wischte sich die Tränen weg und ging beherzt auf die Gartentür zu.
    Ganz selbstverständlich, als wäre sie hier zu Hause, drückte sie die Klinke hinunter.
    Verschlossen.
    Die Frau blickte zu beiden Seiten den Pfad entlang, danach in die Gärten der Nachbarhäuser.
    Abgesehen
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