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Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Titel: Vater, Mutter, Tod (German Edition)
Autoren: Siegfried Langer
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Jungen: »Du wolltest doch mit deinem Papa auf den Rummel, ja?«
    Eben noch ängstlich, lächelte Lukas nun.
    »Jaaa«, rief er. »Ich habe dir doch vorhin davon erzählt, dass Papa mich auf den Rummel mitnimmt, Ayse.«
    »Gehst du bitte kurz mal auf dein Zimmer, Lukas?«, sagte Ayse freundlich, aber bestimmt.
    »Aber warum denn?«
    »Bitte tu mir den Gefallen.«
    »Aber die Tante will mich zu Papa und zum Rummel bringen«, sagte Lukas, und seine Lippen formten einen Schmollmund.
    Ohne die Frau aus den Augen zu lassen, beugte sich Ayse zu ihm hinab und sprach sanftmütig auf ihn ein.
    »Erinnerst du dich an das Bilderbuch von der Bärenfamilie, die auf den Rummel geht? Wir haben es gestern gemeinsam angesehen.«
    »Ja, klar«, antwortete Lukas aufgeregt. »Paulchen, der kleine Bärenjunge, ist Kettenkarussell gefahren.«
    »Genau! Geh doch mal nach oben und hol es aus deinem Bücherregal, dann kannst du später vergleichen, ob alles so ist wie dort abgebildet.«
    »Bin gleich wieder da«, rief Lukas der Frau zu, dann flitzte er davon.
    Ayses Gesicht wurde wieder ernst.
    »Noch einmal: Ich möchte, dass Sie das Haus und das Grundstück verlassen!«
    »Geben Sie mir den Jungen.«
    Die Frau sah, wie Ayses Augen zu einer Kommode wanderten; neben einer Blumenvase mit Chrysanthemen lagen dort ein Schlüsselbund und ein Handy.
    »Wenn Sie nicht unverzüglich Ihren Fuß aus der Tür nehmen, rufe ich die Polizei.«
    Die Frau erkannte, dass sie nur noch eine einzige Chance hatte: rohe Gewalt.
    Mit einer hastigen Bewegung rammte sie Ayse ihre Schulter gegen die Brust. Die Türkin torkelte einen Schritt zurück.
    Rücksichtslos drängte die Frau sie weiter nach hinten.
    Aus den Augenwinkeln blickte Ayse erneut zum Handy – und zur Vase.
    Sie versuchte, danach zu greifen. Doch die Frau erkannte die Gefahr. Sie war schneller, packte die Vase und schlug sie der Türkin auf den Kopf. Sofort ging diese in die Knie. Blut quoll aus einer Platzwunde und vermischte sich mit dem trüben Blumenwasser, das an ihrem Körper hinunterrann.
    Eine Sekunde lang schaute Ayse die Frau ungläubig und vorwurfsvoll an, dann kippte sie ohnmächtig zur Seite, um sie herum gelbe, grüne und weiße Chrysanthemen sowie die Scherben der Vase.
    Aus dem ersten Stock hörte die Frau die Schritte des Jungen.
    Sie sah hektisch umher, schließlich fiel ihr Blick auf die Tür zur Gästetoilette.
    Hastig griff sie an Ayses Knöchel, merkte aber schnell, dass sie nicht genügend Zeit hatte, sie bis in die Toilette zu schleifen.
    Außerdem wären immer noch die Spuren des kurzen Kampfes geblieben und hätten den Jungen misstrauisch gemacht.
    Sie entschied sich für die Flucht nach vorn und ging Lukas entgegen. Rasch schloss sie hinter sich die Tür zwischen dem Flur und dem Treppenhaus und verhinderte damit die Sicht auf die ohnmächtige Ayse.
    Frau und Kind erreichten gleichzeitig das Fußende der Treppe.
    »Ah, du hast es ja gefunden«, sagte die Frau, als sie das Bilderbuch in der Hand des Jungen entdeckte.
    »Ja, klar«, antwortete Lukas und sah sich um. »Wo ist Ayse?«
    »Keine Sorge. Die ist nach Hause gefahren.«
    »Warum denn?«
    »Sie hat deinen Papa angerufen und gefragt, ob es stimmt, dass ich dich abholen soll.«
    »Und?«
    »Er hat ihr gesagt, dass er nur vergessen hatte, es ihr zu erzählen. Und dass sie sich den Nachmittag freinehmen kann.«
    »Und sie ist schon weg? Sie hat mich gar nicht zum Abschied gedrückt.«
    »Ist doch nicht schlimm. Sie hat sich so gefreut, dass sie heute frei hat. So wie du dich auf den Rummel freust. Das tust du doch, oder?«
    Die Vorfreude fegte Lukas’ Zweifel hinweg.
    »Jaaaa«, rief er und streckte dabei seine Hand mit dem Bilderbuch in die Luft.
    Die Frau griff nach seiner anderen.
    »Na, dann wollen wir mal gleich los. Dein Papa wartet schon.«
    Lukas erwiderte den Druck ihrer Hand und die Frau lächelte zufrieden.
    »Wieso gehen wir denn durch den Wintergarten?«, fragte der Junge, als sie ihn durchquerten.
    »Weißt du, wir fahren mit dem Bus, und so ist es näher zur Bushaltestelle. Bist du schon mal mit dem Bus gefahren?«
    »Ja, ein Mal. Aber meistens fahre ich mit dem Auto, am liebsten in dem roten von Mama. Rot ist nämlich meine Lieblingsfarbe.«
    Die Frau öffnete die Tür des Wintergartens und trat gemeinsam mit dem Jungen hinaus auf die Terrasse.
    »Na, so ein Zufall. Rot ist auch meine Lieblingsfarbe. Ich glaube, wir werden uns gut verstehen. Bist du eigentlich schon groß genug, um über einen
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