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Vater Mond und seine Kinder (German Edition)

Vater Mond und seine Kinder (German Edition)

Titel: Vater Mond und seine Kinder (German Edition)
Autoren: Franziska von Sassen
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er nicht mehr abbremsen. Ungeschickt platschte er dort, wo noch vor einigen Sekunden Oskar gestanden hatte, auf den Bauch. Völlig verdattert schüttelte er den Kopf. „Wo war die Beute, was war geschehen?“ Zitternd, mit eingezogener Rute, stand das Rudel am Rand des Abgrunds. Verzweifelt starrten sie um sich. Was war passiert? Tief unter sich erspähten sie Oskar, der wohlbehalten und weich mit allen vier Beinen in einer hohen Schneewehe gelandet war. Er war ihnen entkommen und in Sicherheit.
    Oskar, nach dem waghalsigen Sprung mehr tot als lebendig, fühlte unter sich eine kalte Masse, in die er geplumpst war. Ganz behutsam öffnete er zuerst das rechte Auge, dann das linke. Rings um ihn herum war alles weiß und still. Bin ich schon tot? Vorsichtig versuchte er sich zu bewegen. Es ging nicht. Er saß fest, wie eingemauert. Mutlos ließ er den Kopf sinken, alles war vergeblich gewesen. Vater Monds Aufforderung zum Sprung, die weiche Landung im Schnee und nun hielten ihn die feuchten Schneemassen fest umklammert. Er konnte kein Glied bewegen. Eisig fegte der Wind über ihn hinweg. Dicke Schneeflocken rieselten auf ihn herab und deckten ihn langsam aber sicher zu. Resigniert ließ er den Kopf sinken und stieß einen tiefen, kummervollen Seufzer aus. „Sollte das mein Ende sein?“
    Lautes Rabengekrächze ließ ihn hochschrecken. Er hob den Kopf. Zuerst sah er eine Krähe, dann eine zweite, dann eine dritte. Zum Schluss waren es mehr als hundert. Der Lärm war ohrenbetäubend. Vor zahllosem, schwarzem Gefieder konnte man den Baum nicht mehr erkennen. Hungrig musterten sie ihn von dort aus mit ihren Knopfaugen. „Konnte es denn sein, dass da Futter auf sie zukam?“
    Oskars Hoffnung auf Rettung sank. Ohne fremde Hilfe konnte er sich nicht befreien. Sein Atem stieß weiße Wölkchen in die winterkalte Luft. Aber horch, da war etwas, leise zwar, aber eine Art vorsichtiges Auftreten. Er spitzte die Ohren. Soweit er vermochte, drehte er seinen Kopf in Richtung des Geräusches. Da, wieder. Angestrengt lauschte er. Ein Ast knackte, und noch einer. Kaum hörbar näherten sich tastende Schritte. Jetzt ein Wispern und Flüstern. Große, braune Rehaugen blinzelten verstohlen durch die verschneiten Büsche. Und oh’ Freude, sein Rudel tauchte aus dem Dickicht auf und eilte ihm zur Hilfe. Mit ihren kräftigen Vorderläufen scharrten sie den Schnee zu Seite, in dem er feststeckte. Noch ganz benommen und schon halb erfroren, zog er sich aus dem Eisgefängnis heraus. Erst das rechte Bein, dann das linke und zum Schluss die Hinterbeine. Er konnte es noch gar nicht fassen, er lebte! Stolz hob er sein mächtiges Haupt, warf sich in die Brust und röhrte einen Dankesschrei zu Vater Mond hinauf. Ohne noch weiter zu Verweilen, machte er sich schleunigst mit seiner Familie auf den Weg zur Elfenwiese.
    „Bravo“ schrien Vater Mond und seine Kinder erleichtert, „sollen die Wölfe doch Mäuse und Beeren fressen.“ „Gott sei Dank“ flüsterte Vater Mond, „das ist ja noch einmal gut gegangen.“ Bibbernd vor Kälte knallte er das Fenster zu. Der Schneesturm hatte durch das geöffnete Fenster viele weiße Flöckchen in die Stube gewirbelt, die sich nun in kleine Wasserpfützchen verwandelten.
    Beruhigt setzte sich Vater Mond zurück in den Ohrensessel und nahm seine Brille ab. Der Schreck war ihm ordentlich in die Glieder gefahren. Mit zitternden Händen versuchte er seine Pfeife zu stopfen, wobei etliche Tabakkrümel auf den Boden fielen. „Wo ist denn nur mein Fidibus“ murrte er. Vergeblich kramte er in seinen Taschen herum. „Na, dann nicht. Rauchen ist sowieso ungesund.“
    „Ich frage mich nur“, wendete er sich mit einem ratlosen Gesicht an seine Kinder, „was macht Oskar hier? Eigentlich müsste er mit seinen Ricken längst im Elfenwald angekommen sein.“ „Und wer ist Oskar?“ fragten die Kinder neugierig. „Das ist auch so eine lange Geschichte, die ich euch später erzählen werde.“
    Brutus und sein Rudel rannten kopflos am Rande des Abgrunds hin und her. Sie heulten vor Wut und Verblüffung. Ihr grauenvolles Geheul hallte durch den Wald, so dass alle Tiere vor Angst in ihre Höhlen flüchteten. Kämpfend fielen sie übereinander her und verwundeten sich in ihrer Wut gegenseitig. Jeder gab dem anderen die Schuld am Misslingen der Jagd. Die Raserei und das Wutgeheul der Wölfe waren ein beängstigender Anblick. Brutus rief das Rudel zur Ordnung. Winselnd und unterwürfig krochen seine Gefährten zu ihm
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