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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman
Autoren: Iris Kammerer
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ihrer Hochzeit eine angemessene Erziehung genösse. Doch auch der Onkel hatte Schulden bei einem Steuerpächter.
    Drei Tage waren vergangen, seitdem sie mit den anderen Mädchen des Dorfes den Nachmittag im kühlen Grubenhaus verbracht hatte, wo sie den neuesten Klatsch ausgetauscht und gesungen hatten, damit das Spinnen und Nähen leichter von der Hand ging. Als sie kurz vor Sonnenuntergang heimgekehrt war, hatten Soldaten im Garten gestanden und ein Mann in Tunica und weitem Umhang war aus dem Haus getreten. Die Tante war ihm laut weinend nachgeeilt, bis er - Thiudgif sah es vor sich, als geschehe es gerade erst - sich drohend umwandte, die alte Frau beschimpfte, dann weiterstolzierte. Sein Blick streifte Thiudgif, er blieb stehen. Sie bemerkte, dass er sie von oben bis unten maß, sein Arm stieß vor, und ein barscher Befehl ging über seine Lippen. Ehe sie begriff, wie ihr geschah, hatten drei der Soldaten sie umringt, zwei von ihnen sie gepackt, und nach einem knappen Wink ihres Anführers zerrten sie sie auf die Straße. Sie sträubte sich, wand sich, vergebens. Die Tante wollte sich auf die Soldaten stürzen und wurde beiseitegeschleudert wie ein lästiges Tier.
    »Das mag einstweilen genügen«, hörte sie den Anführer
der Soldaten sagen. »Wenn ihr eure Tochter wiedersehen wollt, habt ihr bis morgen Abend Zeit, sie auszulösen, indem ihr eure Schulden entrichtet. Ihr wisst, wo ihr mich findet.«
    In ihrem finsteren Gefängnis spürte das Mädchen von neuem die Scham, die heiß in ihr aufgestiegen war, als die Soldaten sie die Wege entlangführten. Sie befand sich im Gewahrsam des Steuerpächters. Ihre Gegenwehr gab sie bald auf, senkte den Kopf und sicherte umher wie ein gefangenes Tier, während ringsum Flüstern und Tuscheln verrieten, dass die Dörfler zusammenliefen. Sie erkannte die Stimmen anderer junger Mädchen, mit denen sie eben erst in der Spinnhütte gescherzt und gelacht hatte. Sie bemerkte mühsam unterdrückte Empörung, aber auch Häme in manchen Mienen. Man brachte sie auf die andere Seite des Heerlagers, das die Römer hier vor Jahren erbaut hatten. Endlich bellte der Steuerpächter einen Befehl, und die Soldaten blieben stehen.
    Thiudgifs Herz machte einen Satz, als sie die Baracke erkannte, vor der sich ein dunkelhäutiger Riese breitbeinig aufbaute.
    »Ware für deinen Herrn«, sagte der Steuerpächter anstelle einer Begrüßung und versetzte dem Mädchen einen leichten Stoß, der sie auf den Eingang zu straucheln ließ.
    Ware? Was tat dieser Mann? Er hatte doch gesagt, ihre Leute würden sie morgen auslösen können.
    Ein feister Mann in auffällig bunter Kleidung stand mitten in dem Raum, in den der Steuerpächter sie schob, rieb bei ihrem Anblick grinsend die Hände und trat nach der Begrü ßung näher. Der Dicke verbreitete einen betäubend süßen Geruch wie eine Hure. Er griff nach ihr, betastete ihren Arm, umfasste ihr Kinn und musterte prüfend ihr Gesicht. Zurückweichen konnte sie nicht, denn der Steuerpächter hielt sie fest. Als die beringten Finger des Sklavenhändlers über ihre
Brüste glitten, bäumte sie sich schreiend auf, spuckte aus und erntete eine schallende Ohrfeige.
    »Flittchen!«, blaffte der Sklavenhändler. »Dich werd ich Gehorsam lehren!«
    Er packte ihren Zopf, riss sie daran aus dem Griff des Steuerpächters und schleuderte sie zu Boden. Hart prallte sie auf die Dielen, rappelte sich auf und hielt sich den angeschlagenen Ellenbogen, den ein brennender Schmerz überzog. Blut färbte ihre Finger.
    »Mach sie nicht kaputt, Fufidius«, sagte der Steuerpächter. »Sie ist Jungfrau. Ich habe sie frisch aus dem Mutterbett gezogen.«
    »Die nehme ich morgen mit«, entgegnete der Sklavenhändler und wandte sich dem riesigen Torwächter zu. »Schaff sie zu den anderen!«
     
    Sie hatte jene Nacht schlaflos in einem zugigen Verschlag verbracht, im hintersten Winkel an die Wand gedrückt, an den blättrigen, rieselnden Putz geschmiegt, der spürbare Muster in ihre Wangen grub. Keine Decke hatte sie vor den anderen Leibern geschützt, und sie hatte lange Zeit das Gesicht in den Händen geborgen, um sich vor dem ekligen Gemisch aus Schweiß und schlechtem Atem, Kot und Urin zu schützen. Vergeblich.
    Die anderen Frauen und Mädchen in diesem Stall kannten einander, sie tuschelten, bis eine von ihnen näher kroch und Thiudgif flüsternd nach ihrem Namen fragte. Aber sie zog nur stumm die Beine enger an den Leib, schlang die Arme darum und legte den Kopf auf die Knie,
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