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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman
Autoren: Iris Kammerer
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Übersetzer zuzuwenden. Der Mann war ein Kleinfürst - seinen Namen hatte Annius nicht verstanden -, Herr über ein Gau, zugleich ein Veteran, der in Pannonien seine Männer gegen die Aufständischen ins Feld geführt hatte. Er wies auf den bronzenen Ehrenreif um seinen Hals, zeigte seine Narben, sprach von Steuerpächtern, die seine Leute drangsalierten und aberwitzig hohe Abgaben forderten. Zuerst habe man Vieh zusammengetrieben,
dann seien Menschen verschleppt worden, Kinder. Hier und da ertönten Schreie, alle Blicke richteten sich auf den Statthalter und obersten Richter.
    »Das hätte er besser in einem Gespräch unter vier Augen vorgetragen«, murmelte jemand hinter Annius, als der Kläger geendet hatte.
    Annius drehte sich um und erkannte seinen Stubengenossen Sabinus, Gefreiter wie er, und einen weiteren Schreiber. Während er sich noch wunderte, dass gerade diese beiden ihren freien Tag damit verbrachten, Gerichtsverhandlungen beizuwohnen, schob sich Sabinus neben ihn.
    »Worum geht es?«
    »Die Steuerpächter mal wieder«, erwiderte Annius. »Das Übliche.«
    »Wenn die Barbaren zahlen, passiert ihnen nichts«, brummte Sabinus. »Wer den Kampf verloren hat, zahlt - das war schon immer so und das bleibt auch so.«
    Annius setzte ein überaus freundliches Lächeln auf. »Seit wann, sagtest du, bist du nicht mehr bei der kämpfenden Truppe?«
    Sabinus stutzte, musterte ihn stirnrunzelnd, dann lachte er, wobei er ein paar Zahnlücken entblößte, und tätschelte Annius’ Schulter. »Du hast eine nette Art, mich einen Sprücheklopfer zu nennen.«
    Erheitert richtete Annius seine Aufmerksamkeit wieder auf Kläger und Richter. Ein Schreiber, der am Rand der Bühne auf einem Schemel kauerte, hielt den Griffel über der Wachstafel auf seinen Knien und wartete. Am Vortag hatte Annius an dieser Stelle gesessen, während geringere Richter über unwichtige Streitigkeiten geurteilt hatten.
    Nachdem der Übersetzer sich mit einer knappen Verneigung zurückgezogen hatte, saß Varus reglos auf seinem
Stuhl, mit der Rechten das Kinn reibend; auf einen Wink seines Fingers hin trat ein unscheinbarer Mann an seine Seite. Ohne den Kläger aus den Augen zu lassen, unterhielt Varus sich leise mit seinem Berater, nickte bedächtig, während er sich mit den Fingerspitzen über die Lippen strich und die Stirn in einen Fächer von Falten zog.
    Dem Statthalter verdankte Annius, dass er dieses Jahr in einer ruhigen Provincia verbringen durfte; aufgrund einer einzigen Schriftprobe hatte Varus selbst seine Versetzung angeordnet. Zumindest war ihm das so gesagt worden, denn er war dem Statthalter nie vorgestellt worden, sondern hatte nur seine Stelle angetreten. Inzwischen war das verletzte Bein nahezu wiederhergestellt, was Annius neben der Erholung auch den Übungseinheiten, denen er sich täglich unterzog, zuschrieb.
    Gelächter brandete auf. Der Barbar hatte eine Frage des Varus wohl zungenfertig vergolten und mit seinem unbeholfenen Latinisch nicht nur den Statthalter zum Schmunzeln gebracht, sondern auch die Menge für sich gewonnen. Annius gab sich keine Mühe, dem Wortschwall zu folgen. Er hatte am Vortag drei Verhandlungen aufgezeichnet und sich dabei mit schlechten Übersetzern herumgeschlagen, die allzu oft selbst ratlos waren, was die grollenden Tierlaute dieser Barbaren denn nun eigentlich bedeuteten. Sabinus und sein Begleiter, die beide aus Rom stammten, hatten ihren Spaß an solchem Gezänk und spotteten naserümpfend darüber. Annius verabscheute diesen Dünkel der Hauptstädter, der in allen Truppen, in allen Rängen zu finden war. Nicht nur die Barbaren der Germania taten sich schwer damit.
    Als das Raunen der Menge erstarb, suchte Annius den Grund für die Aufmerksamkeit der Menge. Varus hatte sich aus seinem Sessel erhoben und stand ein wenig schief auf
der Bühne, während ein Windzug sein kurzes, graues Haar zauste.
    »Ich werde kein Urteil fällen, ohne die andere Seite gehört zu haben«, verkündete er. »Mir wurde gesagt, dass die von dir angeklagten Steuerpächter heute Abend hier eintreffen. Daher lautet meine vorläufige Entscheidung, dass wir dieses Verfahren morgen früh fortsetzen.«
    Er bedachte den Kläger mit einem langen Blick, bis dieser mit einer knappen Neigung des Kopfes zustimmte, und nickte dann huldvoll, bevor er umringt von den Lictoren die Bühne verließ und in den Reihen seiner Leibwächter untertauchte. Nur die über die Helme der Soldaten ragenden Rutenbündel verrieten seinen Weg, wenn
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